Eine Kanone für Birkenwerder

Der Briesetal – Bote, Amtsbezirks – Anzeiger und Zeitung für Birkenwerder und die umliegenden Gemeinden vom 6. Mai 1916 kommentiert eine überaus kritische Verlautbarung des preußischen Ministeriums des Inneren über die im Verkehr mit Lebensmitteln herrschenden Übelstände.

Im Einzelnen erfahren die Leser, dass das neu eingerichtete „Kriegswucherdezernat“ bei 16 Berliner Schlächtermeistern 200 Zentner Schinken, Wurst und Speck beschlagnahmt wurden, sie haben mit hohen Strafen zu rechnen. Mit der Bestrafung der Gemüsehändlerin G. in Charlottenburg mit 30 Mark oder 6 Tage Gefängnis – sie hatte für 3 Pfund Mohrrüben 45 Pfennige anstatt 24 Pfennige verlangt, hat man wohl nicht die richtige Schuldige getroffen.

Gewarnt durch die strengeren Kontrollmaßnahmen verkaufen nun Berliner Firmen gehortete Ware, ein Großhändler bietet 5000 kg Blockschokolade, 10000 kg Schokoladenpulver, 2000 Dosen Leberwurst, 10 Zentner Käse und „jedes Quantum“ Mischobst an. In dem betreffenden BB wird von Berliner Seite vermutet, dass hinterzogene Lebensmittel auch „nach auswärts verschwinden“. Natürlich, Amtsvorsteher Kühn hat einen guten Draht nach Berlin, sonst könnte er nicht seit Kriegsbeginn Lebensmittel aller Art im Rathaus an seine Birkenwerderaner verkaufen! Dabei bietet er selbstverständlich Minderbemittelten und Kriegerfrauen Vergünstigungen mit Preisnachlässen und Teilzahlungsmöglichkeiten.

Stutzig muss der Leser werden, wenn er von durchweg hohen und runden Summen liest. Ganz plump ist eine Meldung im Briesetal – Boten gestaltet, in der von 200000 kg Rindfleisch in Dosen, zwei Waggons dänische Julienne (zubereitetes Gemüse) und 8000 Dosen dänische Lebensmittel, im Gesamtwert von über 1,8 Mill. Mark, die Rede ist.

Den Menschen soll glaubhaft gemacht werden, nicht der Staat, sondern Händlern und Wucherer sind an den Versorgungsproblemen schuld. Auch soll der Eindruck entstehen, es ständen genügend Reserven bis zur Erreichung des Endsieges zur Verfügung.

Anfang 1916 bahnt sich eine weitere Katastrophe an, die besonders die Kaffeetrinker treffen wird. Norwegen, Schweden, Dänemark und Holland haben Ausfuhrverbote von Kaffee nach Deutschland erlassen, ähnliche Maßnahmen sind auch für Kakao zu erwarten. Flugs wird wieder ein neues Verwaltungsinstrument, der „Kriegsausschuss für Kaffee, Tee und deren Ersatzmittel“, geschaffen. Es darf nur noch ½ Pfund gerösteter Kaffee und nur mit der gleichen Menge eines Ersatzmittels, meist Zichorie, verkauft werden. Fertige Mischungen müssen zur Hälfte ein Ersatzmittel beinhalten. Zichorie, die geröstete Wurzel der Gemeine Wegwarte, wurde seit langem als Ersatzkaffee verwendet. Wie so oft sind diese Maßnahmen halbherzig der allgemeinen Stimmung angepasst, Hamsterei und Wucher geradezu gefördert.

Tatsächlich verschlechtert sich die Lebensmittelversorgung besonders in den Großstädten dramatisch. So kommt es verstärkt zu Protesten gegen die Lebensmittelverknappung und die Steigerung fast aller Preise auf das Dreifache des früheren Preises. Der BB berichtet Ende Mai 1916, dass in langen Schlangen vor den Fleischerläden in Berlin Hausfrauen stunden lang ausharren und oft vergeblich, da kein Fleisch mehr vorhanden ist. So kann man sich vorstellen, welche Forderungen auf der „versuchten“ Maifeier auf dem Potsdamer Platz gestellt wurden. Herablassend schreibt die Zeitung, dass sich „einige Neugierige“ einfanden. „Die Ansammlung des Publikums wurde mühelos von der Polizei zerstreut, 9 Personen wurden sistiert“ (Feststellung der Personalien auf der Wache).

Die sich verschlechternde Lage macht sich auch im Postverkehr zwischen der Heimat und der Front bemerkbar. Äußerst lobenswert ist die seit Kriegsbeginn laufende Aktion der Gemeinde, allen Soldaten aus Birkenwerder regelmäßig den Briesetal – Boten, oft mit zusätzlichen Liebesgaben, zu übersenden. Die Zeitung druckt dann die Dankesbriefe von der Front und zunehmend aus den Lazaretten, die aber nicht nur vom ungebrochenen Kampf- und Siegeswillen künden. Eduard Stenzel hofft, „dass der Krieg bald ein Ende hat und wir frohen Mutes in unsere Heimat zurückkehren können“. Unverblümter schreibt Soldat Wilhelm Ehrlich, „Wir wären alle froh, wenn wir aus diesem Höllengrund (Front in Frankreich) wieder herauskommen und das Trauerspiel bald ein Ende hätte“.

Im Archiv der evangelischen Kirche in Birkenwerder liegt ein Dokument vor, das wahrscheinlich als interne Information von der Kirchenleitung den Pfarreien zugestellt wurde. Es enthält Kopien von Klagebriefen aus der Heimat, anbei einer dieser Briefe.

Zu einem wichtigen kriegerischen Höhepunkt in Birkenwerder gestaltet sich die durch Gustav Müller in seinem Vorgarten Lindenallee 15 aufgestellte französische Beutewaffe, wahrscheinlich aus dem Krieg von 1870/71. Bei der Mitrailleuse handelt es sich um eine mehrläufige auf eine Artillerielafette montierte Kanone. Leider sind technische Einzelheiten, Anzahl der Läufe und Kaliber der verwendeten Munition der in verschiedenen Modellen hergestellten Waffe nicht bekannt.

Damit war die Verteidigung von Birkenwerder gesichert!

Die in der Abbildung dargestellte Mitrailleuse steht im Militärhistorischen Museum in Dresden.

Abb. 1: Salvengeschütz Museum Dresden