Foodsharing – Lena Doil und Dieter Holweger aus Birkenwerder retten Lebensmittel

Gutes Essen vor der Tonne zu retten ist das Ziel von immer mehr Menschen, die sich der weltweiten Foodsharing-Bewegung anschließen. Auch in Birkenwerder gibt es engagierte Einwohner, die Lebensmittel vor dem Wegschmeißen bewahren. Im Interview erzählen sie, was sie motiviert. Lena Doil ist 29 Jahre alt und arbeitet im Marketing eines internationalen Konzerns. Dieter Holweger ist Rentner, 74 Jahre alt, lebt seit 22 Jahren in Birkenwerder.

 

Lena Doil: Ich engagiere mich seit November 2018 und bin damit meiner Schwester gefolgt. Sie hat mich mit ihrer Begeisterung angesteckt. Ich habe in einer Bäckerei und einem kleinen Imbiss angefangen, Essen zu retten und war erschrocken, wie viele Lebensmittel nach Ladenschluss weggeworfen werden.

Dieter Holweger: Wir hatten vor ein paar Jahren eine große Apfelschwemme und haben dann einen Korb vors Haus gestellt, mit dem Hinweis: „Äpfel zu verschenken“. Das wurde von Nachbarn und Spaziergängern dankbar angenommen und fand auch schnell Nachahmer in der Nachbarschaft.

2. Wie war Ihre Einstellung früher und wie ist sie heute?

Doil: Früher kam es schon hin und wieder mal vor, dass ich trockene Brötchen weggeschmissen habe. Heute weiß ich: Einmal mit Wasser befeuchtet und wieder aufgebacken schmecken Brötchen wieder knackig frisch, innen sind sie schön weich. Auch Salat, der nicht mehr ganz makellos ist, kann noch ohne Bedenken gegessen werden.

Holweger: Ich hatte schon immer ein Bewusstsein dafür, dass die Lebensmittelverschwendung eine ganz schlechte Sache ist. Das wurde meiner Generation schon früh durch die Kriegsgenerationseltern vermittelt, die durch ihre Erfahrung mit Hunger- und Mangelzeiten stark geprägt war.

3. Wie haben Sie Unterstützer gefunden?

Doil: Unterstützer habe ich zunächst innerhalb der Familie gefunden: Mein Mann und ich, meine Eltern und meine Schwestern haben ständig Lebensmittel unter einander hin und her getauscht, sodass dadurch eine enorme Nahrungsvielfalt zu Hause gewachsen ist. Dann wurden Nachbarn eingebunden und weitere Mitbürger aus Birkenwerder, zu denen mittlerweile sogar Freundschaften entstanden sind. Die Vernetzung funktioniert unter anderem über Whats-App- und Facebook-Gruppen. Außerdem bin ich bei foodsharing.de registriert.

Holweger: Nachdem ich „foodsharing.de" im Internet entdeckt hatte, war es einfach sich hier schnell mit Gleichgesinnten zusammenzutun.

4. Was treibt Sie an, das Thema bekannter zu machen und selbst am Ball zu bleiben?

Doil: Neben dem Aspekt der vermiedenen Verschwendung gibt es noch mehr Positives: Ich gehe kaum noch einkaufen und konnte die Kosten für Lebensmittel drastisch senken:  Zirka 95 Prozent meiner Nahrung besteht aus geretteten Lebensmitteln. Wichtig ist, dass jeder Einzelne seine Einstellung zum Konsum überdenkt, eine Gemeinschaft gebildet wird und sowohl die Verbraucher als auch die Anbieter gemeinsam aktiv an einem Strang ziehen, um so wenig wie möglich wegzuwerfen. Foodsharing ist eine Möglichkeit dafür und bietet die notwendige Plattform. Generell ist es aber wichtig, dass auch neue „Foodsaver" das Foodsharing-Quiz (foodsharing.de) absolvieren, sich legitieren und ebenfalls Teil der Foodsharing-Gemeinschaft werden.

Holweger: Bei vielen Gesprächen im Freundes- und Bekanntenkreis ist mir aufgefallen, dass es wohl niemanden gibt, der das Verhindern der Vernichtung guter Lebensmittel für eine notwendige und sinnvolle Lösung hält.

5. Wie sind Ihre Abläufe beim Retten von Lebensmitteln?

Doil: Ich hole aktuell bei zirka 20 verschiedenen Betrieben, wie Bäckereien, Supermärkten, Bioläden, bei Cateringfirmen, auf Wochenmärkten, in Cafés und Hotels, sowohl in Oranienburg und Umgebung, als auch in Berlin ab. In der Regel realisiere ich drei bis vier Abholungen pro Woche. Entweder verbinde ich es mit dem Weg zur Arbeit, zum Sport, einem Spaziergang oder einer Radtour. Mir ist es wichtig, dass ich nicht extra nur zum Lebensmittelabholen das Auto bewege.

Holweger: Da es in meinem Wohnbereich in Oberhavel noch nicht so viele Betriebe gibt, die in das Lebenmittelrettungssystem bei „foodsharing.de“ eingebunden sind, liegen die meisten Kooperationsbetriebe für mich in den Berliner Nordbezirken. Ein bis zwei Mal in der Woche bin ich an einer Rettungsaktion von Lebensmitteln beteiligt.

6. Wie kommt man in den Genuss des geretteten Essens?

Doil: Interessenten sollten entweder der Facebook-Gruppe „Leute aus Birkenwerder“ oder „Foodsharing Oberhavel“ bzw. „Foodsharing Berlin“ oder auch dem Portal „nebenan.de“ folgen, um über aktuelle „Rettungen“ informiert zu bleiben. Mein Tipp: Selbst aktiv werden, denn so kann man die „besten Schätze“ selbst behalten.

Holweger: Zumeist verteile ich diese in der Nachbarschaft oder bringe es in eine soziale Wohneinrichtung in Friedenau. Manchmal veröffentliche ich auch einen „Warenkorb“ auf der foodsharing-Plattform und die Lebensmittel können dann bei mir zu Hause abgeholt werden. Der beste Weg ist, sich selbst in die Gemeinschaft der Lebensmittelretter einzubringen und dort alle Informationen zu bekommen.

7. Was würden Sie sich für die Zukunft wünschen?

Doil: Sehr hilfreich wäre die Aufstellung eines sogenannten „Fairteilers“. Dabei handelt es sich um Schränke, Kühl- oder Gefrierkombis, Kisten oder abschließbare Regale für gerettete Lebensmittel, die an einem öffentlich zugänglichen Ort errichtet werden. Daran können sich die Menschen dann jederzeit bedienen oder auch selbst etwas beisteuern, wenn sie z.B. in den Urlaub fahren und der eigene Kühlschrank noch voll ist. Aktuell sind wir stark auf der Suche nach so einem Ort.

Holweger: Dass es eine gesetzliche Regelung ähnlich wie in Frankreich gibt, die die systematische Vernichtung großer Mengen guter Lebensmittel verhindert.

Interessierte können sich direkt auf foodsharing.de oder auch bei der Freiwilligenagentur Birkenwerder informieren.

Interview/Foto: ww

Bildunterschrift: Lena Doil und Dieter Holweger aus Birkenwerder engagieren sich für die Rettung von Lebensmitteln.