Kunst hinter der Metalltür

Zum Tag des offenen Denkmals konnte das alte Wasserwerk besichtig werden

Das alte Wasserwerk in Birkenwerder ist vieles zugleich: Denkmal, temporäre Galerie, Ort für Visionen – und eine Baustelle, die normalerweise nicht betreten werden darf.

Zum Tag des offenen Denkmals am 13. September durfte der Förderverein Kulturpark Birkenwerder eine Ausnahme machen. Es bot sich die Chance, einen Blick in das 1904 erbaute Gebäude zu werfen, das erst als Gaswerk diente und 1912 zu einem Wasserwerk umfunktioniert wurde. Ein umfassenderer Wandel steht dem Industrie-Denkmal noch bevor: Der Förderverein möchte es unter dem Namen „Kulturpumpe“ zu einem Ort werden lassen, an dem beispielsweise Konzerte, Workshops und Lesungen stattfinden können.

Der Schweizer Soziologe und Künstler Urs Jaeggi hat es bereits temporär verwandelt: in einen Ausstellungsraum. Mit farbigen Balken und Linien setzt er Akzente, die den Blick lenken und die geometrischen Strukturen des historischen Pumpenraums in Szene setzen. Auch zeigt Jaeggi im Wasserwerk eine Serie von Arbeiten, die sich mit Flucht beschäftigen – ein Thema, das in der aktuell wie auch in Zukunft von zentraler Bedeutung sein wird, betont der Künstler. „Die Flüchtlingsproblematik wird uns noch jahrzehntelang beschäftigen.“
Zum Tag des offenen Denkmals liest der 1931 geborene Soziologe, Dichter und bildende Künstler aus seinem Lyrik-und-Prosa-Band „Ein Vogel auf der Zunge“. In Begleitung des Saxofonisten Frank Gratkowski trägt er zwischen den Bäumen unterhalb des alten Wasserwerks Nachdenkliches und Humorvolles vor – darunter die Geschichte einer Frau, der er Rosen schenkte. Sie aß die Blumen kurzerhand auf, er nagte am Stiel, als sei es Süßholzwurzel. „Der Abschied fiel höflich aus“, berichtet er. Trotzdem wurden sie ein Paar.

An diesem Spätsommertag auf der Lichtung bekommen die zahlreichen Gäste einen Eindruck, wie sich Veranstaltungen in und vor der Kulturpumpe anfühlen werden. Viel mehr Menschen seien zum Tag des offenen Denkmals gekommen, als er gedacht hätte, erzählt Vereinsmitglied Thomas Weber. Das kann er verstehen: „So eine Anfangszeit ist immer am interessantesten.“ Es lässt sich Eindruck davon erhaschen, wie so ein Projekt entsteht – und auch, wie viel Arbeit dahintersteckt. Auf Schautafeln zeigt Architekt Jan Große, wie die Kulturpumpe einmal aussehen soll: Die ursprüngliche Fensterfront, die das Gebäude wie ein Band umläuft, wird wiederhergestellt. Zum Wald hin öffnet sich eine Freitreppe, als zweiter Fluchtweg dient eine schmale Wendeltreppe. In einem Raum im Obergeschoss können Seminare oder Lesungen stattfinden. Auch ein größerer Veranstaltungsraum und ein kleines Bistro sollen entstehen. Die historischen Pumpen bleiben. „Wir wollen den Industrie-Charme wahren und das Ganze nicht zu einem modernen Gebäude machen“, sagt Anne Wihstutz, zweite Vorsitzende des Vereins. Die Mitglieder hätten viele Ideen, wie die Kulturpumpe bespielt werden könne. Aber auch neue Nutzungs-Ideen seien willkommen. „Wenn hier jemand heiraten will – warum nicht?“

Möglichst noch dieses Jahr will der Förderverein Bau- und Umnutzungs-Anträge für das Gebäude stellen, das der Gemeinde gehört. Danach muss geklärt werden, was sich – Schritt für Schritt – realisieren lässt.

Noch zweimal wird es in diesem Jahr die Möglichkeit geben, einen Blick hinter die metallene Tür des Denkmals zu werfen: Am 11. Oktober und am 25. Oktober. Vielleicht wird auch Urs Jaeggi wieder dabei sein. Für den Verein ist das Interesse des international bekannten Künstlers ein glücklicher Zufall. Als Jaeggi 2019 ein Wandbild am Skulpturen Boulevard in Birkenwerder einweihte, standen die Mitglieder des Kulturpark-Fördervereins mit einem Stand direkt gegenüber und erzählten ihm von ihrem Projekt. Jaeggi, der unter anderem in Mexiko an der Umgestaltung von Industrieorten beteiligt war, interessierte sich sofort für das Wasserwerk. „Ich habe gesagt: Ich würde es vor dem Umbau gerne dem Publikum zeigen“, erzählt Jaeggi. Er wolle Menschen zeigen, „dass Kunst eigentlich überall ist.“

Bildunterschrift: Urs Jaeggi liest Gedichte in Begleitung von Saxophonisten Frank Gratkowski

Text/Foto: id