Lok 234 rast über die Grenze

Eine der letzten begleitenden Veranstaltungen zur Ausstellung „Als das Blatt sich wendete“ fand am Abend des 27. November im Rathaus Birkenwerder statt. Dort wurde der Schwarz-Weiß-Film „Durchbruch Lok 234“ aus dem Jahr 1963 gezeigt, zu dem Frank Wisbar Regie geführt hatte.

 

Mit einführenden Worten ging der 67-jährige Georg Klein auf den Film ein und verwies auch auf eine 25-minütige Dokumentation des rbb, die im Anschluss gezeigt wurde. Klein, in Fulda geboren und seit 1991 in Birkenwerder sesshaft, erinnerte sich, dass er als zehnjähriger Schüler den Film gesehen hatte. Nun zum Jahrestag der Wende hatte der langjährige Abgeordnete, der heute Vorstandsmitglied des Vereins „Kulturpumpe“ ist, im Internet recherchiert und den Film besorgt. Der Film wurde vom 16. April bis zum 5. Juni 1963 in und um Geesthacht an der Bergedorf-Gesthachter Eisenbahn, nahe Hamburg, mit bekannten Schauspielern wie Erik Schumann (Hauptdarsteller) und Joseph Offenbach (Heizer) nach einem tatsächlichen Ereignis gedreht. Am 5. Dezember 1961 war dem Lokführer Harry Deterling mit seiner Familie und anderen Reisenden in einem Personenzug von Oranienburg aus die Flucht nach West-Berlin gelungen. Anders als im Film, in dem der Fluchtzug von einer Dampflok der Baureihe 38 (genauer: der 38 3239) gezogen wurde, war es in Wirklichkeit eine Tenderlok der Baureihe 78  (die 78 079), die den Zug zog.

Durch Birkenwerder in Richtung Westen
Der Lokführer  Harry Deterling (im Film Dölling) lebt mit seiner Frau Ilse und seinen Söhnen Arno, Hellmut und Dieter in Oranienburg nördlich von Berlin. Als Harrys ältester Sohn in der Schule auf Befragen seines Lehrers den Vater eines Freundes denunziert, sieht Deterling für sich und seine Familie keine Zukunft mehr im Osten. Er entwickelt den Plan, mit einem Personenzug die Grenze hinter der Station Albrechtshof zu durchbrechen. Dies ist die Grenzstation, über die noch ein Gleis nach West-Berlin führt. Er meldet sich für Sonderschichten und wird auch tatsächlich wegen Personalmangels für die Strecke eingeteilt. Doch für Vorbereitungen bleibt nur noch wenig Zeit. Ilse, seine Frau, willigt nur unter der Bedingung ein, dass auch die Verwandten mitkommen können. Am Tag der Flucht stehen auch normale Fahrgäste neben denjenigen, die von dem Vorhaben wissen. Auch der zugeteilte Heizer möchte in den Westen. Die Spannung steigt während der Fahrt, die durch Lehnitz, Borgsdorf und Birkenwerder führt. Eisenbahner und Transportpolizisten schöpfen Verdacht. Doch schließlich durchbricht die Lokomotive mit acht Personenwagen die Grenze und kommt auf West-Berliner Seite zum Stehen. Harry Deterling und seine Freunde sind glücklich über die gelungene Flucht. Die „Berliner Abendschau“ berichtet am 6. Dezember 1961 ausführlich über die Flucht. Deterling wurde nach kurzem Aufenthalt im Auffanglager Marienfelde in die Bunderepublik gebracht, weil befürchtet wurde, dass ihn Behörden aus dem Osten zurückholen würden.

DDR-Medien berichten über „verbrecherischen Anschlag“
Insgesamt flohen an diesem Abend gegen 20.40 Uhr mit dem Zug, der fahrplanmäßig um 19.33 Uhr ab Oranienburg verkehrte, 25 Personen aus der DDR. Die Medien der DDR berichteten anschließend, dass es sich dabei um einen verbrecherischen Anschlag auf den Interzonenzug aus Hamburg gehandelt habe. In der Nacht zum 7. Dezember 1961 wurde die Strecke dann endgültig unterbrochen. Arbeitstrupps wurden beobachtet, als sie 20 Meter vor der Grenze zu West-Berlin Schienen und Schotter entfernten. Deterling wurde im Herbst 1962 in Abwesenheit bei einem Prozess in der DDR zu 13 Jahren Zuchthaus verurteilt. In einer 25-minütigen Dokumentation wurde die ganze Geschichte mit den Zeitzeugen aufgearbeitet. Unter den Zuschauern war Jürgen Pfennig aus Birkenwerder. „Ich war damals sechs Jahre alt. Der Film war mir nicht bekannt. Ich kenne aber die Dokumentation aus den Beiträgen des MDR zur Wende“, sagt er. Dass sogar ein Bahnhof mit dem Ortsnamen „Birkenwerder“ zu sehen ist, fand Pfennig toll. „Auch wenn hier bei uns ja gar nicht gedreht wurde“, sagt er. Noch Minuten nach dem Film und der Doku unterhielten sich Zuschauer und Georg Klein über das Gesehene.

Als letzte Veranstaltung im Rahmen der Ausstellung „Als das Blatt sich wendete“ ist am 30. November um 14 Uhr eine Finissage geplant unter dem Motto „Wie erlebte ich den 9. November 1989 und wo stehe ich heute“.

Text/Foto: Jürgen Zinke

Bildunterschrift: Georg Klein stimmt die Zuschauer auf die Filmvorführung ein.