Jaucheabfuhr verboten!

Nach 1900 entwickelte sich der „Verein der Gastwirte Birkenwerder und Umgebung“ zu einer einflussreichen Interessenvertretung seiner Mitglieder. Da bereits vor dem ersten Weltkrieg ein gastronomisches Überangebot bestand, war es eine Aufgabe des Vereins, gegen unlauteren Wettbewerb anzukämpfen, besonders gegen die „Konkurrenz der nichtkonzessionierten Geschäfte“.

In stark vom Ausflugsverkehr frequentierten Straßen boten Hausbesitzer sozusagen vor der Haustür auch alkoholische Getränke an, ohne dafür eine amtliche Gewerbeerlaubnis, eine Konzession, zu besitzen. Selbst Wirte, die für ihr Gebäude eine Konzession hatten, durften im Vorgarten keinen Ausschank betreiben. Der Verein verwahrte sich bei der Gemeindeverwaltung energisch gegen die Ausgabe weiterer Konzessionen, meist vergeblich; die Steuereinnahmen aus der Gastronomie waren erheblich und für die Gemeinde sehr willkommen. Die Wirte protestierten selbst verständlich auch gegen die Bemühungen eines einflussreichen Unternehmers des Ortes, eine Konzession zu erhalten. Was diesen veranlasste, verärgert zu äußern, „die Konzession erhalte ich doch!“. Was letztendlich auch stimmte, der Mann erbaute eine ansehnliche Restauration.

Besonders kritisch hinsichtlich Wettbewerbs betrachteten die Birkenwerderaner Gastwirte ihre Vereinskollegen in Hohen Neuendorf. Als 1902 hiesige Schulklassen die Sedanfeier (deutscher Sieg über die Franzosen 2.9.1870) in einer Gaststätte in Hohen Neuendorf veranstalteten, mussten sich die verantwortlichen Lehrer herbe Kritik gefallen lassen. Ausgeglichen wurde allerdings der Einnahmeverlust zumindest für einen Wirt dadurch, dass Oranienburger Präparanden ihren „vorzüglichen Ausflug“ durch eine üppige Feier bei Ebel im „Boddensee“ ausklingen ließen. Die Präparandenanstalt war eine Vorstufeneinrichtung des Oranienburger Lehrerseminars.

Auch noch später opponierten die Wirte in Birkenwerder mehrmals die nach ihrer Meinung zu hohen „Lustbarkeitssteuern“ gegenüber Hohen Neuendorf. Berliner Vereine würden deshalb ihre Veranstaltungen dort durchführen.

Der Gastwirtsverein hatte auch in anderen Belangen Einfluss auf die Entwicklung des Ortes. Da 1902 die Gemeinde nicht in der Lage war, entsprechende Leistungen zu erbringen, bewilligte der Verein 1000 Mark zur Beschaffung und zum Anschluss von 40 Laternen. Zwischen den Vereinsmitgliedern fand auch ein reger Austausch zu organisatorischen und technischen Belangen der Gastronomie statt. Um 1910 war u.a. die Versorgung mit Stadtgas und die damit verbundene Möglichkeit einer „modernen“ Gasbeleuchtung ein Thema. Auch unser Rathaus, das z. Z. im Hinblick auf das Jubiläum seiner Einweihung am 6. August 1912 renoviert wird, war mit einer Gasbeleuchtung ausgestattet. An der Realisierung der Anlage waren das „Gemeinde-Gas- und Wasserwerk“ Birkenwerder und die Firmen „R. u. A. Hengstenberg“, Birkenwerder, und „Beleuchtungskunst“ Max Krüger, Berlin, beteiligt.

Eine bedeutende Rolle spielte der Grundbesitzerverein von Birkenwerder vor dem ersten Weltkrieg. Wie der Anzeige in der Abbildung zu entnehmen ist, vermittelte er Baustellen, Grundstücke, Häuser und Wohnungen. Über das Brandenburgische Pfandbriefamt sorgte der Verein für die Gewährung von Pfandbrief-Hypotheken. Da auch in Berlin entsprechende Werbung für Birkenwerder erfolgte, war um 1910 der Ansturm von Interessenten groß. Im Briesetal-Bote forderte der Verein laufend dazu auf, zeitweise freistehende Sommerwohnungen für eine Vermietung zu melden. Auch im Ort selbst bemühte man sich, ständig die „Wohnqualität“ zu verbessern. So verbot Amtsvorsteher Kühn im Juni 1910, zwischen 6 und 22 Uhr in den Monaten Mai bis Oktober die Abfuhr von „Jauche und andern übelriechenden Stoffen“ mit Rücksicht auf die Sommergäste.

Autor: Siegfried Herfert