Geldschrankknacker im Rathaus von Birkenwerder

Den Umlandgemeinden waren Gäste und Touristen willkommen, sie hatten aber auch einen erheblichen Ansturm von Klein- und Großkriminellen zu erleiden. Zur Ehrenrettung der Birkenwerderaner muss gesagt werden, dass Diebstähle und Einbrüche meist von ungebetenen „Gästen“ verübt wurden.

Gestohlen wurde alles, Lebensmittel, lebende und geschlachtete Tiere, Spirituosen, Bekleidung, Fahrräder, Werkzeug, Brennmaterial und „Christbäume“! Wegen der hohen Preise waren Metalle aller Art bei Dieben sehr beliebt, die vor 90 Jahren entwickelten Aktivitäten sind durchaus heutigen Methoden vergleichbar. 1920 wurde in Borgsdorf ½ Zentner Telefonkabel entwendet, vom Friedhof in Birkenwerder verschwanden eiserne Grabgitter. Selbst die Redaktion des örtlichen Briesetal Bote blieb nicht verschont, sie musste zwei Lehrlinge entlassen, die Bleilettern im Werte von 100,- Mark geklaut hatten. 1921 wurde ein Mann festgenommen, der auf der Strecke zwischen Borgsdorf und Birkenwerder gelagerte Schienenlaschen gestohlen hatte. In diesem Jahr häuften sich die Diebstähle von Telefonleitungen. So wurden innerhalb von zwei Monaten in mehreren Aktionen aus den sog. „Forstleitungen“, so zwischen Borgsdorf und Lehnitz, zwischen Briese und Elseneck und Elseneck und Summt „Bronzedraht aus den Leitungen geschnitten“. Die Postverwaltung zahlte immer höhere Belohnungen für entsprechende Anzeigen. Ein Diebstahl besonderer Art ereignete sich im September 1921. Aus dem Restaurant Waldschlößchen wurde die gesamte Kinoausrüstung einschließlich „Lichtkasten, Drägerscher Sauerstofflampe und Leinwand“ gestohlen. Über die Entwendung von etwa 70 kg Kommissbrot aus dem im Weltkrieg als Reservelazarett genutzte Sanatorium wurde schon berichtet.

Die Aufklärungsrate bei Einbrüchen und Diebstählen war wegen der im Vergleich zu heute starken personellen Präsenz der Polizeikräfte vor Ort erfreulich hoch. Eine Möglichkeit, die damals per Bahn an- und abreisenden Diebe zu erwischen, ergab sich auf dem Bahnhof Stolpe, in der Nähe des heutigen Bahnhofs Hohen Neuendorf. Bei Feststellung einer kriminellen Handlung wurde der dort tagsüber, später auch nachts stationierte Polizist telefonisch informiert, der dann die Rucksäcke verdächtiger Reisender kontrollierte und die frisch geschlachteten Hühner, Würste, Speck und Spirituosen beschlagnahmt.

Um den Diebstählen entgegenzuwirken, wurde 1920 eine Lockerung des Schusswaffengebrauchs für Polizisten erlassen. Ganz abwegig ist aber nicht die Annahme, dass die Maßnahme auch der kritischen politischen Lage geschuldet war; der von Kapp und v. Lüttwitz inszenierte Putsch wurde durch einen Generalstreik beendet (13./17.3.1920). In Zusammenhang mit den unruhigen politischen Verhältnissen hatte die Staatsmacht festgestellt, dass sich vielfältiges Kriegsmaterial in Privatbesitz befand. Im Herbst 1920 wurde die Bevölkerung zur Abgabe aufgefordert, in einer langen Liste war aufgeführt, was eingezogen werden musste und welche Prämien zu erhalten waren. Für eine Kanone hätte man 10.000,- Mark erhalten!

In Birkenwerder wurden 22 Gewehre, 19 Karabiner, 14 „Beutewaffen“, 55 Revolver, 2 Handgranaten und etwa 2.500 Schuss Munition abgegeben. Der Briesetal Bote bemerkte ironisch, in Birkenwerder hätte es keinen „Kanonenliebhaber“ gegeben.

Mehrmals erfolgten Aufrufe zur Waffenabgabe, erwartete „Prämienerhöhungen“ erwiesen sich als falsch. Ein Besitz von Waffen nach dem 31.10.1920 hatte strafrechtliche Folgen.

Ein höchst dramatisches Ereignis vermeldete die Ausgabe der „Nordbahn - Nachrichten“ vom 9.1.1929 mit der Überschrift „Geldschrankknacker im Birkenwerder Rathause“. Die vier Berliner „Spezialisten“, ausgerüstet mit modernstem Equipment einschließlich Sauerstoffgebläse mit vier Flaschen Sauerstoff, waren in der Nacht mit dem Auto angereist. Sie öffneten Hauptportal und Kassenraum mittels Dietrich, verhängten die Fenster und brannten in ausdauernder Tätigkeit ein 23 x 26 cm großes Loch in die Panzertür des Tresors. Beim Öffnen der Tür „setzte sich eine Alarmklingel in Bewegung“. Der im Haus wohnende Hauswart Püschel erwachte, bemerkte natürlich den Einbruch und benachrichtigte die Polizei. Die Einbrecherbande konnte aber noch bei Zurücklassung der gesamten Ausrüstung mit ihrem Auto fliehen. „In dem Kassenschrank hatten sich etwa 700 Mark Gemeindegelder und verschiedene andere für die Verwaltung wertvolle Gegenstände befunden, die zum Glück im Besitz der Gemeinde geblieben sind“. Die Tatortuntersuchungen erfolgten durch Polizei des Amtsbezirkes und die Berliner Kriminalpolizei.

Autor: Siegfried Herfert