Irrlichter im Briesewald

Vielen älteren Birkenwerderanern ist die geheimnisvolle Sage, über die ehemalige Untermühle, auch Koboldmühle genannt, bekannt. Eine frühe Erwähnung findet sich in dem Büchlein „Sagen der Provinz Brandenburg“ von Paul Kunzendorf. Die, von der Briese kurz vor ihrer Mündung in die Havel angetriebene, vom Dorf abgelegene Mühle galt als nicht ganz geheuer.

Man erzählt sich, dass einmal im Jahr um Mitternacht eine schwarzgekleidete Frau händeringend und verzweifelt umgeht und um ihr im Mühlbach ertrunkenes Töchterlein trauert.

Schon lange nicht mehr hat sich ein kopfloser Reiter gezeigt, der nächtens beim Mühlenteich sein Unwesen trieb. Vielleicht suchte er einen zur Schwedenzeit im Mühlenteich versenkten angeblich in einer schweren Eisenkiste befindlichen Schatz. Auch von anderen geheimnisvollen Ereignissen wird berichtet.

Wie bereits beschrieben, hatte sich am 14. Juni 1789 ein grausamer Mord an drei Begleitern eines Geldpostwagens zugetragen, der Mörder hatte die geraubten 6800 Taler vergraben.

Martin Schumacher hat sich noch in den zwanziger Jahren des vorigen Jahrhunderts erzählen lassen, dass der Mörder und Posträuber Lenz, der am 19. Januar 1790 in Berlin gerädert worden war, „Ohne Kopf in sternenloser Nacht auf dem geraubten Wagen das Breite Gestell (Heute Chausseestraße) in wildem Galopp dahergerast kommt. Manchmal hört man bloß Hufgetrappel und Rädergekreisch ...“ Auch können die damals nicht gefundenen Taler nur gefunden werden, wenn der Geist des Mörders die Stelle zeige, wo sie vergraben sind. Ein Knecht, bei dem es drei Nächte hintereinander an den Fensterladen klopfte, hatte Angst und sich nicht auf das Abenteuer eingelassen.

Eine andere Geschichte handelt von einem kleinen Häuschen, das von einem Weber und seiner Frau bewohnt war. Da der Mann ständig mit seiner Frau im Streit lag, war das Paar vielen Einwohnern nicht geheuer. Die alte Frau legte mit ihrem Auftreten, ihrer gebeugten Haltung mit dem Krückstock, dem zerfurchten Gesicht mit dem fast zahnlosen Mund und der ärmlichen Bekleidung den Verdacht nahe, eine Hexe zu sein. Die Vorübergehenden betrachteten furchtsam den Schornstein des Spukhauses, ob dort der Teufel einfahren wolle. Als der Tod für die schwerkranke Frau nahte und der Tischler die Maße für den Sarg aufnahm, betrat der ihn begleitende Nachtwächter aus Angst nicht das Haus. Aber alles war wohl harmlos und nur der Furcht der Birkenwerderaner vor dem Absonderlichen geschuldet. Allerdings wurde die Alte wieder gesund und ihr Mann musste einige Zeit später in die zwischenzeitlich auf dem Dachboden abgestellte Totenlade gelegt werden. Lt. Kirchenbuch verstarb die „nachgelassene Ehefrau des Büdners und Webermeisters Th.“ 1867 im Alter von 80 Jahren an Altersschwäche.

Andere geheimnisvolle Erscheinungen in vergangenen Zeiten haben die Menschen beschäftigt. Wanderern im Briesewald erschienen an warmen und feuchten Abenden plötzlich und wieder erlöschende, bläuliche hüpfende Flämmchen, die Irrlichter. Seit alters her treten diese Lichterscheinungen, plattdeutsch Spöklichter, also Spuklichter, an Teichen, Sümpfen und Mooren auf und regten abergläubische Fantasien unserer Vorfahren an. Für die alten Birkenwerderaner waren die Lichtlein die Seelen ungetauft gestorbener Kinder, die keine Aufnahme im Himmel finden und ruhelos umherirren müssen.

Tatsächlich handelt es sich um bei Fäulnis organischer Stoffe entstehende Faulgase, die an die Oberfläche steigen und bei Kontakt mit der Luft mit schwach bläulicher bis grünlicher Flamme verbrennen. Noch 1931 berichtete ein Wanderer, die Irrlichter „bei nüchternem Verstande und klarem Denken und kalter Überlegung“ beobachtet zu haben. In späteren Jahren müssen die „kleinen Heiden“ zur Ruhe gekommen sein. Selbst gestandenen Anglern sind Irrlichter nicht mehr erschienen. Der ehemalige jahrzehntelang tätige Revierförster Stiewe hat bei vielen abendlichen Ansitzen keine Irrlichter beobachtet. Er führt das auf die zunehmende Absenkung des Schichtwassers, verursacht durch steigende Wasserentnahme und zugenommene Bautätigkeit zurück.

Bei unseren Vorfahren war es in Ermangelung medizinischen Fachwissens üblich, zur Abwehr böser Geister, die Mensch und Tier Leiden und Krankheiten zugefügt hatten, das Böten, Bepusten oder Besprechen anzuwenden. Im Niederbarnimer Kalender von 1931 werden Beispiele genannt, wie das in Birkenwerder praktiziert wurde. In heimlichen „Sitzungen“ „behandelte“ die meist ältere sachkundige Person die entblößte kranke Stelle des Körpers durch dreimaliges kreuzweise Bepusten unter Aufsagen entsprechender Beschwörungsformeln und Gebete.

Für an Rose (Entzündung des Hautgewebes) Erkrankte lautete der Spruch:

„Die Mutter Maria ging über das Land,
sie hatte die Rose in der Hand;
Rose, du mußt vergehn,
mußt nicht bleiben stille stehn.
Im Namen Gottes, des Vaters, des Sohnes
und des Heiligen Geistes.“
Dabei wurde das Kreuzzeichen gemacht.

Die Formel bei blutenden Wunden war so:
„Unser Herr Jesus ging über die Brücke,
das Blut floß wie Wasser.
Blut, du mußt stille stehn,
Wasser, du mußt fortgehn.
Im Namen Gottes.“

Bei schmerzenden Wunden wurde folgender Vers gesprochen:
„Gott der Herr ging über die heiligen fünf Wunden
alle Tage und alle Stunden.
Das soll nicht kochen, nicht sieden,
nicht bluten, nicht schwären,
es soll heilen und gut werden,
sondern das Blut so stille stehn,
Das tue ich dir, Fritz Busse, zugut.
Im Namen des Vaters“

Mit „Fritz Busse“ könnte der Arbeiter Friedrich Wilhelm Busse gemeint sein, dessen Sohn Karl August Busse 1872 Wilhelmine Witte in Birkenwerder heiratete.

Viele Sitten und Gebräuche unserer Altvordern haben sich bis heute erhalten. Überall wird zu Weihnachten Stollen gegessen, die in ihrer Form an das eingewickelte Christuskind in der Krippe erinnern soll. In vielen Haushalten wird freitags, in Erinnerung an den Tod Christi, kein Fleisch gegessen. Auch Bleigießen zu Silvester ist noch vielerorts beliebt.

Auch gemeinschaftlich begangene Veranstaltungen sind noch üblich, wie Schützenfeste, Osterfeuer, Erntedankfeiern und Martinsumzüge. Neuerdings erinnern sich örtliche Feuerwehren alter Traditionen und lassen ihre neuen Fahnen „Gott zur Ehr, dem Nachbar zur Wehr“ kirchlich weihen. Ein neuer, für uns weniger historisch begründeter Brauch hat sich etabliert, das weitgehend vom Kommerz geförderte „Halloween“.

In Vergessenheit geratene Sitten und Gebräuche unserer Gegend, die der Heimathistoriker Max Rehberg gesammelt und aufgeschrieben hat, waren zu allen Jahreszeiten äußerst vielfältig.
In vielen Orten fanden Fastnacht Umzüge mit Musik statt. Im Anschluss wurde gemeinsam gespeist, in Birkenwerder Milchreis und Mohngebäck. Die in den Gemeinden Birkenwerder, Friedrichsthal, Bernöwe und Zerpenschleuse ansässigen Schiffer – ihr Kähne lagen zur Winterszeit fest – veranstalteten Umzüge und Feste.

Viele Bräuche wurden zur Osterzeit gepflegt. Das Schöpfen des Osterwassers noch bei Dunkelheit am Ostermorgen erfolgte meist durch die Mädchen des Dorfes. Die begleitenden Burschen versuchten, durch Neckereien das vorgegebene Schweigegebot zu brechen. Dem Osterwasser wurde besondere Heilwirkung nachgesagt, u.a. sollte es Sommersprossen vertreiben. Die Borgsdorfer wuschen sich mit Osterwasser zum Erhalt ihrer gesunden und klaren Augen. Die Schönfließer schöpften das Wasser aus einem Wasserlauf, der aus Osten kam, für die Germendorfer musste es aus der entgegengesetzten Himmelsrichtung fließen. Die Mädchen, die das Osterwasser holen verschlafen hatten, wurden von den Burschen mit der Osterrute aus den Betten „gestiept“.

Für das ganze Jahr galt, vor dem Abendläuten die Wäsche von Kranken, Wöchnerinnen und Neugeborenen zur Vermeidung böser Verzauberungen ins Haus zu holen. In den zwölf „Rauhnächten“ nach Weihnachten durfte keine Wäsche gewaschen und aufgehängt werden, sonst verstürbe ein Familienmitglied. In Zehlendorf und Birkenwerder vermied man das Brotbacken. Die Bergfelder aßen keine Hülsenfrüchte, sonst bekämen sie Geschwüre. Die Birkenwerderaner und Schildower aßen zu Silvester Hering wegen des Rogens, der ihnen im neuen Jahr viel Geld bringen sollte, auch Mohnspeisen waren beliebt. Die Germendorfer hängten an die Äste von schlecht tragenden Obstbäumen Steine und versprachen sich eine bessere Ernte im nächsten Jahr. Auch das Wetter in den zwölf „Rauhnächten“ war für Voraussagen wichtig, bei viel Wind schloss man in Birkenwerder auf eine gute Obsternte.

Autor: Siegfried Herfert

Abb 1: Briesetal, um 1905 Quelle: Archiv Herfert