Das Reservelazarett in Birkenwerder und das Ende des 1. Weltkrieges

Die Schrecknisse und Leiden des 1. Weltkrieges wurden den Birkenwerderanern ganz direkt gegenwärtig durch die Einrichtung eines Reservelazaretts im Sanatorium. Auszugsweise folgt dazu ein Bericht aus dem „Briesetal-Bote“, der Zeitung für Birkenwerder und die umliegenden Gemeinden, über die 1914 dort gestaltete Weihnachtsfeier.

Birkenwerder. Unser rühriger Vaterländischer Frauenverein vom Roten Kreuz, welcher seit Beginn des Weltkrieges unermüdlich tätig ist, Wunden zu heilen und das Los derer zu erleichtern, welche direkt und indirekt in Mitleidenschaft gezogen sind, hat auch das bevorstehende Weihnachtsfest zum Gegenstand seiner Fürsorge genommen.

Das bewies die am Dienstagabend von dem Verein arrangierte Weihnachtsfeier im hiesigen Sanatorium. Unser Sanatorium ist bekanntlich als Lazarett vom Armeekommando eingerichtet und mit etwa hundert Verwundeten belegt. Der Vorstand des Vaterländischen Frauenvereins hat es sich nun nicht nehmen lassen, für diese eine besondere Weihnachtsfeier zu veranstalten und hatte dieserhalb abermals an die Opferwilligkeit der Mitglieder appelliert. In Gemeinschaft mit dem derzeitigen Leiter des Sanatoriums, Herrn Direktor Pretzsch und seiner hochherzigen, unermüdlichen Gattin, mit tatkräftiger Unterstützung unseres stets bereiten Herrn Amtsvorstehers Kühn, des leitenden Arztes Herrn Dr. Wolff und des Herrn Pfarrers Lehmann wurde es den Vereinsdamen ermöglicht, den hier stationierten verwundeten Soldaten eine weihevolle Christfeier zu  bereiten.

Nirgends fehlten die traditionellen Äpfel, Nüsse und Pfefferkuchen, daneben nützliche Wollsachen, Taschentücher, Süßigkeiten und verständnisinnig lugten aus den mit duftendem Tannengrün geschmückten Schachteln oder Körbchen die so begehrten und immer mit Freude begrüßten „Rauchwaren“. Der hohe imposante Speisesaal unseres mit Recht weltberühmten Sanatoriums war im Hintergrunde mit einem mächtigen Weihnachtsbaum geschmückt, welcher von beiden Seiten von prächtigen Tannen flankiert wurde, ….

Kurz nach 7 Uhr wurde die Feier mit dem gemeinsamen Gesange: „Oh du fröhliche, o du selige, gnadenbringende Weihnachtszeit“ eröffnet, nachdem vorher die im Sanatorium untergebrachten verwundeten Soldaten ihre Plätze eingenommen hatten. Für einige schwerverwundete Krieger sorgten in liebevoller Weise die im Sanatorium stationierten Schwestern und in geradezu rührender Weise wurden besonders schwerer Verwundete bequem in weiche Sitzgelegenheiten gebettet. Nach Beendigung des Eingangsliedes sprach Herr Pfarrer Lehmann über die  Weihnachtsgeschichte nach St. Lukas Kapitel 2. Eingangs seiner Rede wies er darauf hin, dass Birkenwerder wohl noch nie eine solche Weihnachtsfeier erlebt habe. Weitergreifend schilderte er die gegenwärtige ernste Zeit …

Nach dem gemeinsamen Gesange „Stille Nacht, heilige Nacht“ wurden von Kleinen und Kleinsten reizende Weihnachtsgedichte aufgesagt. Eine richtige Kriegsnote brachte Herr Schauspieler Fritz Rötiger mit seinen vorzüglich vorgetragenen Rezitationen … in das Programm. Das waren markige Worte, welche bei allen Teilnehmern einen flammenden Widerhall fanden. … In kurzen herzlichen Worten gab der verwundete Kamerad Gottschalk vom 61. Inf.-Regt. im Namen seiner Kameraden seinen Dankesgefühlen an die Veranstalter des schönen Abends beredten Ausdruck. … Herr Amtsvorsteher Kühn gedachte sodann in seinem Schlusswort der unermüdlichen Tätigkeit des hiesigen Vaterländischen Frauenvereins. … Jetzt heißt es durch-halten und ausharren.

Nunmehr ging die eigentliche Bescherung vonstatten, indem jeder der Verwundeten sein Geschenk sich holte. Für die schwerer Verwundeten sorgten liebevoll die Pflegeschwestern und unsere Sanitäre. Bis auf drei sehr schwer Verwundete, welche das Bett hüten müssen, waren alle Insassen des Sanatoriums im Festsaal anwesend. In liebenswürdiger Weise hatten Herr Dr. Wolff und die Sanitätskolonne für den Abend einen frischen Trunk gespendet, welchem eifrig zugesprochen wurde.

Es war ein unvergesslicher Abend nicht allein für die verwundeten Soldaten, … nein, auch für alle Teilnehmer, welchen es vergönnt war, der Feier beizuwohnen.

Der Bericht bringt die noch Anfang des Krieges ungetrübte Hilfsbereitschaft und Spendenfreundlichkeit und die patriotische Überzeugung des baldigen Sieges zum Ausdruck. Im Laufe des Krieges ließ die Begeisterung bald nach, auch die Erinnerung ehemaliger Lazarettpatienten an die schöne Feier in Birkenwerder war dahin. 1919 klauten sie Wäsche und Bekleidungsstücke, 1920 wurden etwa 70 kg Kommißbrot aus dem Haus gestohlen.

1918 war der Krieg verloren, der Kaiser dankte ab. Erstaunlich, dass trotz des katastrophalen Endes und der herrschenden revolutionären Umstände Beispiele des Gedenkens an die verflossene Kaiserzeit vermeldet werden. Im Februar 1920 ist im Briesetal-Boten zu lesen, dass sich einige Schuldirektoren in Brandenburg wegen durchgeführter „Kaisergeburtstagsfeiern“ (27.1.) zu verantworten hatten. Sicherheitshalber verfügt dann der Kultusminister im August des Jahres, dass am 1. und 2. September regelmäßiger Unterricht zu erfolgen hat, „Sedanfeiern“ sind verboten. Im Kaiserreich wurde der deutsche Sieg gegen die Franzosen bei Sedan am 2.9.1870 in jedem Jahr gefeiert.

Am 11.4.1921 starb die „letzte deutsche Kaiserin“ Auguste Victoria, Gemahlin Wilhelm II., im Exil in Holland. Der „Vaterländische Frauenverein vom Roten Kreuz“ in Birkenwerder sagte daraufhin ein geplantes Konzert ab, bei der Versammlung des Kriegervereins erhoben sich die Teilnehmer im Gedenken an die Verstorbene von den Plätzen; in der Kirche von Hohen Neuendorf fand zu Ehren der „Kaiserin“ eine Trauerfeier statt.

Ganz anders war die Situation bei den sog. „Tannenbergfeiern“, geplant für den 27.8.1921, u. a. in Potsdam und Oranienburg. Gefeiert werden sollte der Sieg der deutschen 8. Armee unter Hindenburg über die 2. russische Armee im ersten Kriegsjahr (23. – 31.8.1914) bei Tannenberg im damaligen Ostpreußen. Dieses Ereignis lag nur wenige Jahre zurück und wurde mit dem verlorenen Weltkrieg in Verbindung gebracht. Vorgesehen waren Umzüge, Militärkonzerte, Kranzniederlegungen usw..

Wie der „Briesetal – Bote“ berichtet, hatten linksgerichtete Organisationen zu Protesten gegen die Tannenbergfeiern aufgerufen. Die „Arbeiterschaft“, darunter viele Birkenwerderaner, besetzte in Oranienburg den Louisenplatz. Als der Zug mit den Kriegervereinen und der Schützengilde dort eintraf, kam es zu einer handfesten Schlägerei. Die Arbeiterschaft stürmte das für die Feier vorbereitete Schützenhaus, ein Bombardement von Stühlen, Gläsern, Pfannen und Tassen vertrieb die Musik von ihrem Podest. Eine Feier fand nicht statt.

Auch in Potsdam wurde die Tannenbergfeier „gewaltsam gesprengt“. Bei den tätlichen Auseinandersetzungen mussten zwei Personen durch Schüsse eines Polizeiwachtmeisters ihr Leben lassen.

Für Informationen zur Geschichte des Sanatoriums, der heutigen Asklepios Klinik Birkenwerder, danke ich Herrn Dr. Ekkehart Weber.

Autor: Siegfried Herfert