Mühlencrash und andere Explosionen in Birkenwerder

Auch Birkenwerder wurde in der Vergangenheit von Katastrophen, verbunden mit Schäden an Leib und Seele seiner Bewohner, heimgesucht, Brände vernichteten Behausungen und Wirtschaftsgebäude.

Max Rehberg und Bernd Erzmann berichten von einem Unglück an der Obermühle, die bis 1922 auf der jetzigen Brachfläche an der Briesebrücke in der Hauptstraße stand. Im Kirchenbuch für den Zeitraum von 1682 – 1744 im hiesigen Archiv der evangelischen Kirchengemeinde findet sich dazu der Eintrag, der in der Abbildung mit entsprechender Transkription wiedergegeben ist.

80 Jahre später, am 14.6.1807, ereignete sich ein weiterer Unglücksfall an der Mühle. Der dreijährige Sohn des Tagelöhners Carl Ludwig Neumann zu Birkenwerder, „fiel in die Briese der Mühle, ging durchs Wasserrad wurde gequetscht und ertrank“. Dem Prediger Goldmann muss die Eintragung ins Kirchenbuch besonders schwergefallen sein, da er selbst Zeuge des Unglücks war, ohne es verhindern zu können. Die entstellte Leiche des Knaben wurde geborgen und am folgenden Tag „in aller Stille“, d. h. ohne Glockengeläut und Grabrede, „auf dem neuen Kirchhoff zu Birckenwerder“ beigesetzt.

Auch über Sterbefälle durch Ertrinken wird in den Kirchenbüchern berichtet. So sind zwei Zimmergesellen am 4.9.1752 beim Bau der Brücke in Pinnow ertrunken. Carl Ludwig Tinke, 21jährig, ertrank am 12.7.1808 „in der Havel, … indem er sich mit drei anderen Knechten daselbst badete“.

In den Ziegeleien von Birkenwerder und Umgebung ereigneten sich für in industriellen Einrichtungen typische Unfälle. So wurde im Februar 1845 der Ziegler Joachim J. aus Hohenschöpping in der „Krauseschen Ziegelei durch ein von Pulver gesprengtes Stück Erde erschlagen“. Die Beerdigung durfte erst „nach gerichtlich erfolgter Besichtigung“ erfolgen.

In den florierenden Jahren in der Ziegelindustrie in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts – nach Angaben von Max Rehberg betrug die Jahresproduktion bis zu acht Millionen Steine – kam es wegen fehlender oder ungenügender Arbeitsschutzeinrichtungen und entsprechender Vorschriften nach Informationen durch Herrn Karl-Heinz Palm, Ziegeleiexperte Birkenwerder, immer wieder zu Unfällen.

1905 war in der Ziegelei in Borgsdorf der damals gebräuchliche Sprengstoff Roburit in einem separat errichteten Schuppen gelagert unter Zuständigkeit des „unbescholtenen“ Ziegeleiverwalters Richard J.. Wie gefährlich der anfänglich als in der Handhabung sicher geltende Roburit (Ammonsalpetersprengstoff) war, zeigt die Explosion in der Herstellerfabrik in Witten am 28.1..1906 mit katastrophalen Folgen. Es waren 41 Tote und etwa 200 Verletzte zu beklagen, etwa 2000 Menschen wurden obdachlos. Dieses Ereignis fand national und international großes Aufsehen, die Geschädigten erfuhren zahlreiche Solidaritätsbekundungen und Hilfe aus allen Teilen Deutschlands. Der o. g. Sprengstoffverwalter in Borgsdorf wird sicherlich ein zweites Vorhängeschloss an seiner Sprengstoffschuppentür angebracht haben.

Am 13. Juli 1909 ereignete sich in den „Rapidinwerke AG“ eine folgenschwere Explosion. Dieser Betrieb war 1908 auf dem Gelände der ehemaligen Ziegelei III errichtet worden. Hier sollte auf der Basis von Petroleum ein Verfahren zur Herstellung von Motorkraftstoffen zur Anwendung kommen, was allerdings nicht gelang und später die Liquidation der Firma zur Folge hatte. An den Folgen der Explosion verstarb der Direktor Walter A. St., der „Erbauer und technische Leiter“ der Fabrik. Auch sein dreijähriger Neffe, der an Händen, Brust und Gesicht erhebliche Verletzungen erlitten hatte und dem beide Unterarme amputiert werden mussten, verstarb. Eine weitere weibliche Person trug starke Verbrennungen am Kopf und Händen davon. Bei dieser Katastrophe kam die Sanitätskolonne vom Roten Kreuz Birkenwerder, über die in einem weiteren Beitrag ausführlich zu berichten ist, zum Einsatz.

Die aus den Birkenwerderaner Ziegeleien hervorgegangene Aktiengesellschaft für Baumaterial hatte nach einjährigem Stillstand 1910 die Produktion – leider nur für kurze Zeit – wieder aufgenommen. Hier ereignete sich noch einmal ein tragischer Unfall, bei dem ein Arbeiter eine „totale Quetschung des rechten Oberarmes“ in einem Zahnradgetriebe erlitt. Nach Behandlung durch den Ortsarzt Dr. Wolff erfolgte auch hier die Überführung des Verletzten in die Klinik durch zwei „Sanitäre“ der Sanitätskolonne.

Anzumerken ist, dass die Ziegeleien auf Grund der einfachen Holzbauweise vieler ihrer Einrichtungen mehrmals von Bränden heimgesucht wurden.

Leider kam es bei Kanalisationsarbeiten vor dem Rathaus, das gerade erst vor einem Monat eingeweiht worden war, im September 1912 zu einem Unfall. Nachtwächter Robert S., der dort stundenweise beschäftigt war, geriet unter eines der großen Druckleitungsrohre und erlitt schwere Verletzungen am linken Unterschenkel. Nach erster Hilfeleistung durch Dr. Wolf wurde er in das Krankenhaus Reinickendorf gebracht.

In den „Nordbahn Nachrichten“ ist zu lesen, dass am 16.6.1930 auf dem Grundstück Ebel-Allee 16, heute Geschwister-Scholl-Straße, der 36 Jahre alte Biologe Joachim A. bei der Explosion eines „Drucksprühgerätes“ tödlich verunglückte. Der Apparat „zerschmetterte“ den Kopf des A. und flog 19 m weit auf das Nachbargrundstück. Der Verunglückte führte seit einem Jahr Obstbaumspritzungen als Lohnarbeit aus.

Autor: Siegfried Herfert