Gott hat mich bis jetzt erhalten

Zu Beginn der Geschichte Birkenwerders standen seine Bewohner oft in Opposition zur Obrigkeit. Berichtet wurde bereits über die im Landbuch Kaiser Karl IV. von 1375 beschriebene Verweigerung des Besitzers des Ortes Mentz von Holtzendorf bei der Erfassung von Besitz- und Steuerverhältnissen. Auch der langjährige Streit der Familie Wins mit dem Kurfürsten im 16. Jahrhundert zeugt von Selbstbewusstsein und Widerstand gegen Willkür und Ungerechtigkeit.
Durch die Einsetzung v on sechs „Freybauern“ auf dem ehemaligen „Rittergut“ durch die Kurfürstin Louise Henriette 1666 entstanden in Birkenwerder Unterstellungs-verhältnisse und soziale Bedingungen, abweichend von der Situation in den Dörfern in adligem Besitz. Die privilegierten Bauern nannten sich bald „Königliche Freibauern“. Diese Entwicklung dürfte mit dazu beigetragen haben, ein besonderes Verhältnis zum Herrscherhaus zu entwickeln.

Ende des 19. Jahrhunderts und zu Beginn des 20. Jahrhunderts feierten die Birkenwerderaner anstehende nationale Feiern und Jubiläen mit großem Aufwand und preußischer Begeisterung.
Das wurde auch sichtbar, als die jungen Männer Birkenwerders 1914 mit großem Enthusiasmus in den Krieg zogen, der zum 1. Weltkrieg wurde.
Anrührend sind die Zeugnisse der Verbindung der Gemeinde mit ihren Soldaten im Felde. In vielen Ausgaben des „Briesetal-Bote“, der Zeitung für Birkenwerder und die umliegenden Gemeinden, füllen im ersten Kriegsjahr 1914 Dankschreiben der Soldaten für übersandte „Liebesgaben“ ganze Seiten.

Im Folgenden notiere ich einige Beispiele aus den Ausgaben vom 08.12. und 24.12.1914:

14. November 1914
Habe heute Ihre Zigarren erhalten und werde sie in der Hoffnung auf einen baldigen Frieden rauchen. Ich bin jetzt als Fernsprecher beim Bataillon und liege dicht vorm Feind vor der Infanterie zur Belagerung von Verdun. … Wir liegen in Höhlen unter der Erde und sind alle noch frohen Mutes … Ich bin Gott sei Dank noch gesund und am Leben. Viele Grüße aus dem Felde sendet
W.

15. November 1914
Für die freundlichen Liebesgaben vielen Dank. Unsere 10tägige Feuertaufe vor Schirwind habe ich gut und heil überstanden. Haben uns vom vorzüglichen Schießen der Russen überzeugt.
Mit herzlichem Gruß Ihr Otto P.

15. November 1914
Eine Ansicht der großen Universitätsstadt Löwen, in welcher von Dächern und Kirchtürmen mit Maschinengewehren auf uns geschossen wurde, herzlichen Dank für erhaltene Zigarren und Zeitungen und einen freundlichen Gruß aus Belgien sendet Wehrmann N.
Hoffentlich essen wir bald ein Beefsteak in London.

18. November 1914
Für die vielen Pakete und Zeitungen, welche mir die Gemeinde gesandt hat, besonders aber für das schöne Liederbuch, gestiftet vom Vaterländischen Frauenverein, spreche ich Allen meinen herzlichsten Dank aus.
Gefreiter P.

18. November 1914
Herzlichen Dank für die beiden Zeitungen, habe mich sehr dazu gefreut, etwas aus der Heimat zu lesen. Liege hier im Schützengraben im Walde vor W. und lese die Zeitung trotz Granaten und Schrappnellschüsse, die der Franzose uns rüberschickt. Habe schon drei Gefechte mitgemacht, bin aber immer mit heiler Haut davongekommen.
Herzlichste Grüße an alle Birkenwerder.
Hochachtungsvoll G. K.

5. Dezember 1914
Gelangte gestern in den Besitz der mit liebenswürdiger Weise von der Gemeinde gestifteten Zigarren und spreche hiermit der Gemeinde meinen herzlichsten Dank aus. Mit den besten Grüßen aus dem Reserve-Lazarett Blankenburg a. H. verbleibe ich Ihr ergebener
Wilhelm V.

7. Dezember 1914
In der Nacht vom 5. Zum 6. D. Mts. sind die Russen nach dreiwöchentlichem schweren Kampfe von hier ausgerissen. Lodz ist von unseren Truppen besetzt. Wir sind tüchtig bei der Verfolgung. Schon in dem Rückzuge der Russen ist unser Sieg zu erblicken. Glück auf! Mit herzlichem Gruß ergebenst
Karl G.

14. Dezember 1914
Sage hiermit der Gemeinde meinen besten Dank für die mit gesandten Zigarren und Zeitungen, ebenfalls auch für das schöne Weihnachtspaket. Besten Gruß
Paul G.

9. Dezember 1914
Die 3. Zigarrensendung am 7. D. Mts. mit großer Freude erhalten. Sie sind gerade zur rechten Zeit gekommen, als wir frühmorgens aus dem Schützengraben kamen. Wir sind immer 3 Tage im Schützengraben und 3 Tage draußen. Es regnet alle Tage, da können Sie sich denken, was wir aushalten müssen. Auch den besten Dank für den Briesetalboten, man freut sich doch immer, wenn man etwas aus der Heimat bekommt. Wünsche Herrn Amtsvorsteher und der ganzen Gemeinde ein fröhliches Weihnachtsfest und verbleibe mit deutschem Gruß
Wehrmann Sch.

18. Dezember 1914
Sage der Gemeinde für die mir erwiesene Ehre meinen besten Dank. Habe Zigarren und Zeitungen mit größter Freude erhalten. Es sieht bei uns sehr traurig aus, die Kompanie hat von 256 Mann noch 53 Mann Gefechtsstärke. Gott hat mich bis jetzt erhalten. Freundliche Grüße
Wehrmann R.

Noch sind sich die Soldaten sicher, den Feldzug umgehend siegreich zu beenden, doch werden auch Anzeichen kritischen Verhaltens zur Lage an den Fronten sichtbar.

Autor: Siegfried Herfert