Berichte von der Front
Hatte man zu Anfang des Krieges 1914 noch Legenden von Ritterlichkeit aus dem vorigen Jahrhundert in Erinnerung und ahnte nicht, wie sich dieser Krieg zur moralischen, menschenverachtenden und wirtschaftlichen Katastrophe des Jahrhunderts entwickeln würde. So sieht der Dichter Arnold Zweig zurückblickend auf die ersten Tage des Krieges, „in denen die Verteidiger Frankreichs noch ihre unwahrscheinlichen Friedensuniformen – die Infanterie also blaue Fräcke und leuchtend rote Aufschläge und Hosen trugen“.
Von Beginn an kommen eklatante Verletzungen internationalen Kriegsrechts von allen Kriegsparteien vor. Der Briesetal – Bote, Amtsbezirks – Anzeiger und Zeitung für Birkenwerder und Umgebung, berichtet von einem Ereignis aus den ersten Tagen des Krieges im August 1914. „Beim Vormarsch wurde aus den Häusern von Dahlheim/Lothringen hinterrücks auf unsere Truppen geschossen, … danach das Dorf in Grund und Boden geschossen und dem Boden gleichgemacht“.
Schwere Ausschreitungen russischer Truppen in Memel und bei Kampfhandlungen in Ostpreußen durch Niederbrennen deutscher Dörfer folgten Vergeltungsmaßnahmen. „Für jedes auf deutschem Boden niedergebrannte Dorf werden drei Dörfer oder Güter des von uns besetzten russischen Gebietes den Flammen übergeben“. Die Erörterungen dieser Ereignisse im Reichstag veranlasst Karl Liebknecht, sozialdemokratischer Reichstagsabgeordneter, zu dem Zuruf „Barbarei“, was zu einiger Aufruhr im Hohen Hause führt.
Man kann davon ausgehen, dass in den offiziellen Kommentaren der Kriegsmächte zu solchen Ereignissen die Wahrheit stark verschleiert wird. Die den Dankesbriefen an die Gemeinde der Soldaten aus Birkenwerder für die nach wie vor übersandten Liebesgaben einschließlich der Briesetal – Ausgaben enthaltene Schilderungen sind als authentisch anzusehen.
Angriffe aus dem eigenen Graben auf die Anlagen erfolgten über das mit Drahtver-hauen verbaute Vorfeld. Pionier Brachrogge schildert, dass Freiwillige seiner Einheit nachts die Sperren so weit als möglich beseitigen.. Füsilier Walter T. beschreibt den morgendlichen Sturmangriff, an der Spitze Pioniere, nur mit Spaten und Handgranaten bewaffnet. „Gefangene haben die Pioniere nicht gemacht, erst die nachfolgende Infanterie konnte gefangen nehmen, was noch nicht tot oder verwundet war, und dies waren sehr wenige!“ Anzumerken ist, dass der kurzstielige Feldspaten, dessen Kanten angeschliffen oder sogar sägezahnartig bearbeitet, als gefährliche Nahkampfwaffe galt.
Laut Briesetal – Bote werden aber auch humane Vereinbarungen zwischen den kriegsführenden Staaten wirksam, so der Post- und Paketverkehr zwischen der Hei-mat und mit den in Kriegsgefangenschaft geratenen Angehörigen. Weiterhin findet ein Austausch von Verwundeten und Invaliden zwischen Deutschland und England statt, mit Russland soll der Austausch über Saßnitz / Schweden erfolgen, französische Invaliden gelangen über Konstanz nach Lyon.
Im Laufe des 1. Kriegsjahres musste sich die Heeresleitung mit der steigenden Zahl von Verwundeten und Kranken mit weiteren hygienischen und sanitären Problemen beschäftigen. Wie der Briesetal – Bote schreibt, fanden die Soldaten beim Einmarsch unserer Truppen in Belgien ein relativ zugängliches Angebot von Prostituierten vor. Eingedenk der Tatsache, dass es im Krieg 1870/71 im Heer 73000 Geschlechtskranke gab, wurden durch deutsche Ärzte und Polizeiorgane energische Maßnahmen ergriffen, um „jede Beeinträchtigung der Schlagkraft unseres Heeres auszuschließen“.
Im Briesetal – Boten vom 1.5.1915 wird in einem Beitrag über die Situation bei der Läusebekämpfung informiert. Zitiert werden Meinungen von Soldaten, sie hätten lieber Hunger, Durst und Schmerzen erlitten als die unerträgliche Läuseplage. Auf die große Gefahr der Übertragung von Flecktyphus durch Läuse wird hingewiesen.
Gefreiter Rönnefahrt scheint der Läuseplage mit einigem Humor zu begegnen:
Als ich zum Kriege fortgemusst,
Hab ich nichts von dem Vieh gewusst …
Sie sind uns treu, doch mir nicht gut,
Sie saugen gern Soldatenblut.
Wir stehn dann von dem Schlafen auf,
Und reiten die Attacke drauf,
Aber auch im Kampf gegen die Läuse an allen Fronten soll die Heimat helfen. Die Ratsapotheke Birkenwerder bietet laufend das Ungeziefermittel „Fenol, 1,20 M“ als Zugabe für die Feldpostpäckchen an. Amts- und Gemeindevorsteher Kühn bittet um Spenden für die vom Oberbefehlshaber des Ostheeres angeregte Sammlung für die Bereitstellung von mit Pferden bespannte „Bade- und Desinfektionswagen, die der Bekämpfung der Ungezieferplage und Hygiene“ an der Front dienen sollen.
Abb. 1: Feldpost 1916 (Hinrichtung einer Laus mittels Beil) Archiv Herfert
Abb. 2: Feldpost 1916 Läusekanone Archiv Herfert