Apell an die Birkenwerderaner: Goldgeld heraus

Am 2. März 1916 veröffentlicht der Briesetal – Bote, Amtsbezirks-Anzeiger und Zei-tung für Birkenwerder und umliegende Gemeinden, die groß aufgemachte Werbung „Zeichnet die 4. Kriegsanleihe“. Das Kaiserreich finanziert die gigantischen Ausgaben für Heer und Flotte zu etwa 80% mit dem von der Bevölkerung geliehenen Geld. In den weiteren Nummern der Zeitung folgen seitenumfassende Artikel, Erklärungen und Durchführungsbestimmungen, Amts- und Gemeindevorsteher Kühn appelliert an die patriotische Pflicht der Birkenwerderaner als Daheimgebliebene in Hinblick auf Männer, Vater, Söhne und Brüder in den Schützengräben zu zeichnen.

Die 4. Kreigsanleihe läuft vom 04.03. – 22. 03.1916, die Anleihen werden mit 5% ver-zinst und sind unkündbar bis zum 01.10.1924(!). Der Mindestbetrag sind 100 Reichs-mark. Man ist sich sicher, für sein ungeliebtes Papiergeld eine attraktive Anlage ge-funden zu haben, wobei der Zeichner stillschweigend voll auf Kaiser und Reich ver-trauend vom glorreichen Sieg Deutschlands und damit von der Sicherheit seines Geldes überzeugt ist. Auch die von Gemeinden und Vereinen aufgelegten zweckge-
bundenen Mittel werden als Anleihen gezeichnet, wie die von Anwohner einer Straße hinterlegten „Pflastergelder“ in Höhe von 60000,- Mark in Hohen Neuendorf, wie der Briesetal – Bote berichtet.

Erstaunlich die Zeichnungserlöse der seit Kriegsanfang 1914 von drei Anleihen in Höhe von 25,7 Milliarden Mark.

Eine weitere Möglichkeit zur Finanzierung des Kriegs sieht das Kaiserreich im Zugriff auf das Goldgeld der Bürger. Vor dem Krieg sind 5,-, 10,- und 20,- Mark Goldmünzen als reguläres Zahlungsmittel im Umlauf. Zur Sicherung der Goldwährung mit der fest-gelegten Deckung von 33 1/3% ist die Stabilisierung und Erhöhung des Goldbestands in den Gewölben der Reichsbank notwendig. Für 1000 Mark in Gold können 3000 Mark Banknoten ausgegeben werden, dringend erforderlich für die Heeresversorgung mit Waffen, Munition und Verpflegung. Für wichtige Einfuhren von Lebensmitteln aus neutralen Ländern sind Devisen notwendig, überseeische Handelsbeziehungen sind wegen der Sperrmaßnahmen der Engländer nicht mehr möglich.

Pflichtgemäß fordert Kühn in einem Aufruf im Briesetal – Boten im Oktober 1914 die Birkenwerderaner auf, ihre Goldmünzen in der Gemeindekasse umzutauschen. Der letzte Satz lautet kämpferisch „Goldgeld heraus!“. Hier scheinen die Bürger nicht so freigiebig zu sein, mit Recht können sie sich schwer von den schönen und wertvollen Goldmünzen trennen. Trotzdem kann Kühn 14 Tage später melden, 7000,- Mark in Gold aus dem Ort der Reichsbankn zugeführt zu haben.

Im Laufe des Krieges erfogen im Briesetal – Boten patriotische Aufrufe zur Goldab-gabe, in denen auch von recht fragwürdigen Methoden bei den Umtauschaktionen, mit der Aufforderung zur Nachahmung, berichtet wird. Die Gemeindemitglieder von Erkner können sich kaum enthalten, wenn ihr Pfarrer die Bitte ausspricht, noch nicht abgeliefertes Gold abzugeben. In 7 Wochen geht bei ihm Goldgeld im Werte von 2180,- Mark zum Umtausch ein.

Der Briesetal – Bote berichtet Januar 1916 von einem Schlächtermeister bei Fürsten-walde, der ankündigt, bei Zahlung in Gold 5 Pfund Fett abzugeben. Die Meldung entfacht eine wahre Völkerwanderung zahlreicher Hausfrauen aus der Umgebung. In etwa zwei Stunden verkauft der Meister 16 Schweine, 750 Mark in Gold kann er abführen. Neben der Verwerflichkeit dieses Handels im Hinblick auf arme Familien ohne entsprechende Goldmittel wird die kriegsnotwendige aber nicht funktionierende Bewirtschaftung von Lebensmitteln sichtbar.

Die eigenartigen Methoden bei der Genehmigung von Urlaub in einem Depot in Rostock hatte ich schon erwähnt. Der Briesetal – Bote berichtet augenzwinkernd, dass die Rekruten bei Umtausch von 100 Mark in Gold Sonntagsurlaub erhalten konnten, bei 20 Mark war eine „Nachtkarte“ erhältlich. Innerhalb von drei Wochen gingen 29730,- Mark in Gold ein.

Solche Machenschaften nähren Gerüchte, dass auch Frontsoldaten durch Goldum-tausch Heimaturlaub erhalten könnten. Dem wird widersprochen, nicht aber mit dem Hinweis auf die Unmöglichkeit derartiger Bestechungen im deutschen Heer, sondern mit der Aufforderung Goldmünzen offiziell umzutauschen, zum Vorteil für das gesamte Vaterland!

Die Begeisterung der Bevölkerung ihre Goldstücke umzuwechseln hielt sich, auch nach Informationen über vorgesehene Abwertung der Goldmünzen nach dem siegreichen Ende des Krieges, in Grenzen. Das zeigt sich heute im Angebot hoher Stückzahlen von 20 Mark Reichsgoldmünzen im Goldhandel. Es werden Großge-binde mit 100 Münzen als Investmentpakete angeboten.

Eine 20,- Mark Goldmünze, Wilhelm II., Prägung 1913/14, Feingehalt 900/1000, Fein-gewicht 7,19 g (s. Abb.), kann man heute für etwa 350 Euro erwerben.

Große Begehrlichkeit entwickelt das Reich auf den Privatbesitz von Goldschmuck. Die schon in den Befreiungskriegen durchgeführte Sammelbewegung „Gold gab ich für Eisen“ lebt im Weltkrieg wieder auf, angenommen werden Ringe, Ketten, Broschen und Goldschmuck jeder Art. Der Briesetal – Bote informiert über die Verfahrensweise und die Annahmenstellen. Für die abgegebenen goldenen Eheringe erhalten die Geber solche aus Eisen mit der Prägung „Gold gab ich für Eisen“ mit der Jahreszahl. Später werden eiserne Gedenkmünzen und Urkunden ausgegeben.

Auf der abgebildeten Feldpostkarte meldet der folgsame Sohn die Abgabe seines Goldringes seinem Vater, anscheinend wenig begeistert.

Abb. 1: Goldmünze Kaiser Wilhelm II., Prägung 1914        Archiv Herfert