Ein Prozess um Birkenwerder
Eine ganz bewegende Geschichte nahm 1524 in Birkenwerder ihren Anfang. Über sie wurde bereits mehrfach berichtet, u.a. durch Herrn Bodo Becker 2005 anlässlich des 650-jährigen Bestehens Birkenwerder. Für diesen Beitrag verwende ich die Darstellung der Ereignisse von A. Neumann im „Briesetal- Boten“ im Herbst 1938, stütze mich aber hauptsächlich auf die entsprechende Primärliteratur aus dem Geheimen Staatsarchiv in Dahlem und dem Brandenburgischen Landeshauptarchiv in Potsdam.
Seit 1504 saßen die vier Söhne des ehemaligen Berliner Bürgermeisters Jacob Wins auf ihrem Hof in Birkenwerder. Das Anwesen selbst lag an der Briese hinter dem Kirchengrundstück,heute bebaut mit dem Pfarrhaus. Wins hatte Birkenwerder mit den Dörfern Hohen Neuendorf, Borgsdorf, Hermsdorf und der Wüstung Bergfelde – also unbewohnt – von den Grafen von Ruppin gekauft, ohne Wissen und Zustimmung des Kurfürsten, d.h. ohne Belehnung. Damals wurden Land, Landgüter, Dörfer und Ämter durch den Landes- und Lehnsherren an treue Gefolgsleute, also an Adlige, zur erblichen Nutzung vergeben. Diese Belehnung und die Festlegung der Rechte und Pflichten des Lehnsnehmers wurden im Lehnsbrief dokumentiert; damit war verbunden die Ableistung eines Huldigungseides. Ein solcher Lehnsbrief für Jacob Wins lag nicht vor. Als der ehemaligen Lehnsnehmer in Ruppin 1524 starb, wollte Kurfürst Joachim den Birkenwerderschen Besitz Wins als „erledigtes Lehen“ einziehen. Der Kurfürst meinte sicherlich bei Wins auch deshalb leichtes Spiel zu haben, weil dieser sich nicht ganz freiwillig in Birkenwerder niedergelassen hatte – er war in Berlin hoch verschuldet.
Anfang Juli 1524 erschienen also bewaffnete Beamte des Kurfürsten und untersagten den Einwohnern Birkenwerders und der drei anderen Dörfer, die ja Untertanen von Wins waren, diesem von nun an alle Dienste zu verweigern und Pacht- und Zinszahlungen einzustellen. Am 27.7.1524 spitzte sich die Lage dramatisch zu, als ein Trupp Bötzower Bürger, zu Fuß und zu Pferde, bewaffnet mit Armbrüsten, Spießen und Messern, unter der Leitung des Amtshauptmannes Hans von Hacke, in Birkenwerder erschienen, um die zu dieser Zeit anwesenden Brüder Merten und Egidius Wins zu vertreiben.
Die kurfürstliche „Streitmacht“ wurde vervollständigt durch den Heidereiter (ein bewaffneter Forstbeamter) und den Vogt zu Bötzow / Oranienburg.
Als die Brüder der Aufforderung, freiwillig das Haus zu verlassen, nicht nachkamen, folgte der Höhepunkt des Dramas: sie wurden mit handgreiflicher Gewalt aus ihrem Haus geführt! Man kann sich vorstellen, welchen Eindruck das militärische Schauspiel bei den Bewohnern, den Kossäten mit ihren Familien, die sich an der Briesebrücke versammelt hatten, hinterließ! Sie erhielten noch einmal die Belehrung, jetzt kurfürstliche Untertanen zu sein und nur dem Amtshauptmann zu gehorchen.
Die Brüder Wins wohnten nun wieder in Berlin. Sie erhoben 1525 Klage gegen ihren Landesherren wegen „gewalttätiger Bedrohung“. Zur Klärung des Sachverhaltes kam es 1526 in Cölln an der Spree, dem späteren Berlin, zu einer Vernehmung von 35 (!) Zeugen aus den 4 genannten Dörfern und aus Schönfließ und Stolpe. Die Zeugen aus Birkenwerder, der Fischer, der Müller – seine Mühle, die Obermühle, lag ja direkt gegenüber dem Hofe der Wins – der Schäfer und der Krüger, bezeugten, den Wins „Eid und Pflicht“ getan zu haben. Ihre und die der anderen Zeugen, soweit diese überhaupt etwas gesehen hatten, bestätigten richtig den Ablauf der Ereignisse. Trotz Winkelzügen und Spitzfindigkeiten der Anwälte des Kurfürsten entschied das Gericht 1527 zugunsten der Wins, sie waren wieder in ihre Güter einzusetzen. Joachim gab keine Ruhe, er protestierte vor dem Reichsgericht in Esslingen, das die Brüder Hans und Gregor - Egidius und Merten waren inzwischen gestorben - mit Schreiben vom 26.6.1527 vorlud (Abb.).
In der Ladung entbietet Kaiser Karl V. seinen getreuen Gregor und Hans Wynsen seine Gnade. Der Standpunkt des Kurfürsten und Markgrafen zu Brandenburg Joachim wird dargelegt und sie werden aufgefordert, vor dem Kammergericht in Esslingen zu erscheinen bzw. sich durch einen Anwalt vertreten zu lassen, um Beschluss und Urteil zu erwarten. Der überlieferte Ladungsbrief ist eine Kopie, das Original wurde, wie der kaiserliche Kammerbote Christoff Finger handschriftlich vermerkt, am 20.7.1527 von ihm dem Gregor Wins, „Bürger zum Perlin“, in Abwesenheit dessen Bruders, verkündet und „ihm zu seinen eigenen Händen überreicht“.
Allein die Zustellung der Ladung erfolgte erst drei Wochen nach ihrer Ausfertigung. Die damals zeitaufwändige Kommunikation zwischen dem Reichsgericht und den Kontrahenten, die umständlichen und zeitraubenden Reisen und sicher auch die den Verhandlungen nicht förderliche Zurückhaltung des Kurfürsten und seiner Anwälte machen erklärlich, dass sich der Prozess über Jahre hinzog. Erst am 15.12.1531 erging eine kaiserliche Verfügung an Joachim. (Abb.)
Auf der 3. Seite, die Verfügung umfasst vier Seiten, ist zu lesen: “so gebieten wir deiner Lieb von Römischer kaiserlicher Macht, auch Gerichts und Rechts wegen, bei zwanzig Mark lötigem Goldes…in unsere kaiserliche Kammer…zu bezahlen…hiermit ernstlich und wollen, daß Du in sechs Wochen und drei Tagen nach Überantwortung und Verkündung dieses Briefes ihnen genannten Gregorn und Hansen Winsen obbestimmten Hof, Dörfer und derselben Zugehörungsvermögen und Inhalt angezogenem Urteils und Erkenntnissen mit samt Erstattung der abhändigten [entgangenen] Nutzungen wirklich wiederum zustellst…und das nicht weigerst, verzieht noch darin ungehorsam seist…“. Der Kurfürst wird angewiesen, daß er selbst oder sein Anwalt vor dem Kammergericht zu erscheinen hat, um über Vollzug des Urteils zu berichten.
Die Familie Wins hatte mit ihrem Prozeß gegen ihren Landesherren diesem großen Ärger bereitet, er rächte sich. Während der letzten Jahre, mindestens seit 1531, saßen Hans und Gregor in „hartem“ Gefängnis und kamen wahrscheinlich erst 1535 nach dem Tod des Kurfürsten Joachim I. frei. Dieser hatte 1532 noch einmal versucht, den Bescheid von 1531 anzufechten, leider liegt ein endgültiges Gerichtsurteil nicht vor. Sicherlich erfolgte eine vollständige Rehabilitation der Wins, denn sie sitzen 1540 auf ihrem Hof in Birkenwerder, einen Lehnsbrief erhalten sie erst 1576, nach anderen Quellen 1598.
Ganz bemerkenswert ist der Mut und die Ausdauer der Familie Wins, für ihre Rechte zu kämpfen, dafür Zeit, Geld und den zeitweiligen Verlust ihrer persönlichen Freiheit zu opfern. In den zwanziger Jahren des vorigen Jahrhunderts hat Birkenwerder in Anerkennung dieser Opfer eine Straße an den Havelwiesen als „Winsstraße“ ausgewiesen. Nachbarstraßen sind nach dem Geheimen kurfürstlichen Kabinettsrat Levin von dem Knesebeck und nach Franz von Hacke (Haake) benannt, den Besitzern und Herren von Birkenwerder zwischen 1633 und 1641 bzw. 1641 und 1649. Auch in Hohen Neuendorf gibt es eine Jacob-Wins-Straße.
Autor: Siegfried Herfert