Bruchlandung auf der Havelwiese
Der Straßenverkehr in Birkenwerder vollzog sich im Rahmen der allgemeinen technischen Entwicklung. Wie den Tageszeitungen vergangener Tage zu entnehmen ist, erlitten an Verkehrsunfällen die Beteiligten leider auch Schäden an Leib und Leben.
So wurde am 17.3.1910 ein dreijähriger Knabe von einem Brauereiwagen überfahren und tödlich verletzt. Der aus Oranienburg stammende Kutscher verteidigte sich damit, „vor Staubwolken, welche bei dem herrschenden Wind fortwährend emporwirbelten, gar nichts sehen konnte“. Tatsächlich wurde er von der ersten Strafkammer des Berliner Landgerichts freigesprochen, obwohl er „in Borgsdorf mehrere Schnäpse und ein Glas Bier getrunken hatte und dann in Birkenwerder noch zwei oder drei Kümmel“.
Erfreulicherweise entstanden bei den meisten Verkehrsunfällen keine größeren Verletzungen, vielen Ereignissen haftete aber eine gewisse kuriose Tragik an.
Bei Pferdefuhrwerken kam es zu Havarien, die mit dem Verhalten von Pfer-den, dem sog. „Durchgehen“, zusammenhängen. Ohne für den Fahrzeuglenker erkennbaren Anlass beginnen die Pferde plötzlich zu galoppieren. Ursachen können sein plötzliches Erschrecken selbst vor großen Steinen, Pfützen, vor ungewohnten Geräuschen am Fuhrwerk oder vor Veränderungen am Zuggeschirr.
Im Juni 1906 scheuten plötzlich die Pferde eines Bierwagens der Schultheiß - Brauerei bei der Belieferung der Badeanstalt am Boddensee und gerieten in den seitlich liegenden Sumpf. Eines der Pferde versank bis an die Hüften. Der Freiwilligen Feuerwehr von Birkenwerder gelang es mit Hilfe herbeigeeilter Sommergäste mittels Balken und Bohlen das Pferd zu retten. Mit einem Schreiben an den Oberführer W. Schulz bedankte sich die Direktion der Brauerei und überreichte zur „Deckung der Auslagen“ 40,- Mark und für die „Unterstützungskasse der FF“ 100,- Mark.
Die Nordbahn-Nachrichten berichten im März 1929 von Durchgehen des Gespanns des Steinsetzmeisters Schall in der Hauptstraße. Die Pferde begannen „Reißaus zu nehmen und schlugen ihren Wagen gegen ein Auto“. Sie beschädigten mehrere Straßenbäume, „konnten dann aber wieder zur Vernunft gebracht werden“.
Die sich verstärkende Motorisierung spiegelte sich auch im Straßenverkehr in Birkenwerden wider.
Im April 1911 begegneten sich auf der Berliner Chaussee die Dungfuhre des August Albrecht und das „mit rasender Geschwindigkeit“ vorbeifahrende Auto des Dr. Noah aus Berlin. Albrecht will seine Pferde auf die Seite gerissen und dabei „versehentlich“ Dr. Noah mit der Peitsche getroffen zu haben. Dieser sah darin einen absichtlich geführten Schlag, Albrecht erhielt wegen „bisheriger Unbescholtenheit“ eine Geldstrafe von 10,- Mark ersatzweise 2 Tage Gefängnis.
Über einen weiteren Einsatz der Freiwilligen Feuerwehr wird 1931 berichtet. Sie wurde nachts(!) nach Briese gerufen. Es gelang, den Tegeler Pkw, der auf der Brücke abgerutscht war und über dem Brückensteig hing, mit Bohlen an- und zu-rückzuheben. Unversehens stieg der Fahrer ein und brauste ohne Dank mit „Gas“ davon! Leider ist nicht bekannt, ob er dem freundlichen Hinweis der Zeitungsmel-dung, er werde sich wohl brieflich oder per Postanweisung erkenntlich zeigen, nachgekommen ist.
Seit Erfindung des Fahrrades musste man sich auch in Birkenwerder mit dem un-botmäßigen bzw. gefährlichen Verhalten seiner Fahrer beschäftigen. Ständig er-mahnte man sie, auf den Verkehr und die Fußgänger zu achten und nicht auf dem Bürgersteig zu fahren, so dieser vorhanden.
Ernsthaft gemeint war der 1905 im Briesetal Bote zu lesende Hinweis, dass sich Unfälle dadurch ereignen, wenn der Radlenker beim Grüßen die Kopfbedeckung abnimmt, also „den Hut zieht“. Den Fahrern wurde empfohlen, „militärisch“ zu grüßen.
Die zunehmende Verkehrsdichte und die bisher völlig umgewohnten höheren Ge-schwindigkeiten der motorisierten Fahrzeuge machten es notwendig, entsprechende Regelungen und Vorschriften zu erlassen und zu aktualisieren. Diese Verordnungen bildeten die Grundlage für die Verkehrskontrollen der örtlichen Polizeiorgane. Besondere Schwierigkeiten bereitete die Geschwindigkeitsbestimmung. Beim schweren Sturz eines Motorradfahrers im Juni 1930 – er war mit seiner neuen Maschine auf der Fahrt von Berlin, wo er sich seinen Führerschein abgeholt hatte – wollen Augenzeugen „eine Fahrgeschwindigkeit von 90 Kilometern beobachtet haben“.
Oft hat man den Eindruck, dass hiesige Ordnungshüter besonderes Augenmerk auf das Verkehrsverhalten auswärtiger Automobilisten richteten. Ein Berliner Kaufmann fuhr mit seinem Auto ein „sehr schnelles Tempo“, gemessen wurden „51 Kilometer Geschwindigkeit“. Der Fahrer war überzeugt „der Beamte müsse sich geirrt haben oder seine Stoppuhr habe nicht richtig angezeigt“. Seine Revision gegen die Straf-verfügung beim Amtsgericht Oranienburg wurde abgewiesen. Die Ermittlung der Geschwindigkeit nach „Weg dividiert durch Zeit“ mit der Einheit „km/h“ scheint allen Beteiligten 1929 noch nicht geläufig gewesen sein.
Besonderes Augenmerk erfuhren im Laufe der Zeit die Beleuchtungseinrich-tungen der Fahrzeuge. Mussten landwirtschaftliche Wagengespanne im Straßenverkehr mit einer Sturmlaterne ausgerüstet sein, so waren Kutschen mit Laternen ausgestattet, in denen Kerzen brannten. Lkw und Pkw waren elektrisch beleuchtet. Major a.D. K. aus Oranienburg erhielt im Februar 1929 vom Amtswalter in Birkenwerder wegen „mangelhafter Beleuchtung des hinteren Erkennungszeichens seines Autos eine Strafverfügung über fünf Mark“, der er aber nicht nachkam.
Die für Fahrräder in den 20iger Jahren des vorigen Jahrhunderts geforderte Karbid-lampe machte den Fahrern wenig Freude. Das in der Lampe erzeugte Acetylengas musste angezündet werden und brannte dann mit heller Flamme, nicht ganz gefahrlos. Aus der Lampe eines im März 1928 abgestellten Fahrrades eines Bergfelders trat eine Flamme aus und entzündete die Gummiteile eines nebenstehenden Rades. Nach schnellem Ablöschen des Brandes blieb der Schaden gering.
Einer der sicherlich spektakulärsten und kuriosesten Unfälle in Birkenwerder hat sich am 31.8.1912 zugetragen. Der Briesetal Bote vom 3. September meldete, dass auf einer Havelwiese am Niederwald ein Flugzeug vom Typ „Etlich-Rumpler-Taube“, im Besitz der damals berühmten ersten deutschen Motorfliegerin Melli Beese, gelandet war. Propeller und das Höhenleitwerk gingen zu Bruch. Der Pilot Boutard wurde aus einem Sitz geschleudert und erlitt einen Schlüsselbeinbruch, sein Begleiter Oberleutnant z. See Schulz blieb unverletzt. Das Flugzeug befand sich auf einen Werberundflug im Wettbewerb mit anderen Maschinen „Rund um Berlin“ von Johannisthal über Lindenberg, Schulzendorf, Spandau, Potsdam, Johannisthal. Die Maschine war im moorigen Landeplatz eingesunken und konnte nur mithilfe zahlreicher Schaulustiger auf festen Boden gebracht werden. Da die Flieger der Überzeugung waren, sich in der Nähe der ersten Kontrollstelle Lindenberg zu befinden, hatten sie die notwendigen Ersatzteile nach dorthin beordert! Der „Apparat“ konnte also den Flug nicht fortsetzen und wurde auf Weisung von Beese mit einem Automobil nach Johannisthal gebracht. Es ist auch kaum anzunehmen, dass ein Start auf den Havelwiesen möglich gewesen wäre!
Als Dank für erwiesene Hilfeleistung überließen die Flieger dem Wirt des Restaurants „Am Niederwald“ den defekten Propeller, der dann in der Gaststube zu besichtigen war.
Autor: Siegfried Herfert
Abb. 1: Bruchlandung einer „Taube“, 1915
Quelle: Archiv Herfert