Sind die Ziegeleibesitzer Birkenwerderaner?

Nach der Erschließung großer Tonvorkommen in der Feldmark begann auch für Birkenwerder das Zeitalter der Industrialisierung. Mitte des 19. Jahrhunderts waren die Bauern Eigentümer ihres Landes geworden und konnten über ihren Besitz frei verfügen. Bereits 1837 verkaufte Bauer Carl Urack einen Teil seines Ackers an der heutigen Havelstraße, wo die sog. Ziegelei I errichtet wurde. Bald folgten viele Landbesitzer seinem Beispiel.

Die Einwohnerschaft und die Struktur der Gemeinde änderten sich in dieser Zeit völlig. Mit Recht wollten die Gemeinde und ihr Schulze, dem ja zusätzlich vielfältige Verwaltungsaufgaben zufielen, an den wirtschaftlichen Erfolgen der entstandenen Ziegeleien partizipieren.

Der Nachfolger von Bauer Rückert im Schulzenamt wurde 1854 der Büdner Karl Friedrich Krause. Wie seine sich in Privatbesitz befindliche Handakte zeigt, hatte er hinsichtlich der Realisierung berechtigter Gehaltsforderungen erhebliche Probleme.

In Birkenwerder waren vier Ziegeleien in Betrieb. Nach Informationen aus dem Kulturkreis Hohen Neuendorf und von Herrn Karl-Heinz Palm, der die Exponate über die Geschichte der Ziegeleien im Geschichtsstübchen Birkenwerder gestalte hat, wechselten im Laufe der Zeit in einigen dieser Betriebe die Besitzverhältnisse. Im Zeitraum der Streitigkeiten gehörten dem Ziegeleibesitzer Seymer die Ziegelei I an der Havelstraße, Krause die Ziegelei II und Borgfeld die Ziegelei III, beide an der Industriestraße , und Lindner die Ziegelei auf dem Gelände des Lindenhofes.

Diese vier Fabrikanten weigerten sich plötzlich, die ursprünglich seinem Vorgänger Rückert gezahlten je 5 Taler jährlich an Krause zu entrichten bzw. knüpften ihre „freiwillige Gratifikation“ an Bedingungen. Der Ziegeleibesitzer Krause, Wohnort Berlin, verlangte allen Ernstes, Schulze Krause solle sich persönlich die fünf Taler abholen!

Der Landrat und das Königliche Rentamt Oranienburg rieten im Schreiben vom 24.10.1855 davon ab, der Schulze würde sich damit „… jederzeit dienstwillig und abhängig machen …“. Andererseits wollte die Obrigkeit sich mit den Ziegeleibesitzern als neue Investoren und Großverdiener nicht anlegen.

Eine Woche später, am 1.11.1855 schrieb das Rentamt: „Nachdem diese (die Ziegeleibesitzer) die fernere Zahlung dieses Betrages verweigert haben, und hierzu auch nicht gezwungen werden können, muss diese Summe seitens der Gemeinde aufgebracht werden und weisen wir dieselbe an, dem Schulzen Krause obigen Betrag …… zu zahlen.“ Nachdem diese Weisung durch das Amt noch einmal wiederholt wurde, wahrscheinlich war die Sache nicht vorangekommen, erhoben Schulze und Gemeinde Protest.

Wenn man bedenkt, wie gründlich die Obrigkeit z.  B. die Pachtzinsen der kleinsten Wiesenstreifen eintrieb – darüber wurde schon berichtet – ist es erstaunlich, wie man die Ziegeleibesitzer vorerst unbehelligt ließ. Nun fand man es aber doch ratsam, die Birkenwerderaner zu unterstützen, in der Form, die Einkommensverhältnisse der Ziegeleibesitzer und damit ihr Zahlungsvermögen zu ermitteln. Das schien, wie auch heute in Politik und Wirtschaft, schwierig gewesen zu sein. Das Rentamt ging 1857 davon aus, dass in jeder der vier Ziegeleien jährlich 1,5 Millionen Steine fabriziert und jeder der Besitzer ein Jahreseinkommen von 1500 Talern hatte.

In Anbetracht dieser Einkommen und der Knickrigkeit der Ziegeleibetreiber hinsichtlich ihrer Beteiligung an den Lasten der Gemeinde brachte bei Schulze Krause das Fass zum Überlaufen, er kündigte. In seiner Handakte ist der Entwurf des entsprechenden Schreibens an das Amt Oranienburg enthalten.

Da die Kündigung nicht akzeptiert wird, steht er der Gemeindeversammlung vom 29.7.1857 vor, deren Ergebnisse noch einige Probleme nach sich ziehen sollten. Es wurde ausführlich dargestellt, dass die vier Ziegeleibesitzer viel mehr verdienten als die Bauern und daher „Kommunallasten“ zu tragen hätten. Tatsächlich genehmigt die Königl. Regierung den entsprechenden Gemeindebeschluss. Jetzt protestierten natürlich die Ziegeleibesitzer mit einem stichhaltigen Grund: sie hatten an der genannten Veranstaltung nicht teilgenommen! Das bemerkt auch die Obrigkeit – sie zieht ihre Genehmigung zurück und hebt den Beschluss vom 29.7.1857 auf!

Unklar bleibt, ob die Ziegeleibesitzer damals eingeladen waren oder nicht. Jedenfalls geht ihnen im Mai 1858 ein Schreiben zu, in dem vermerkt wird, dass „dem Schulzen zu Birkenwerder die Verpflichtung nicht obliegt, Bekanntmachungen an die außerhalb des Dorfes wohnenden Personen zu erlassen resp. zu befördern, so veranlassen wir Sie hierdurch im Dorfe Birkenwerder eine Persönlichkeit anzustellen und dem Schulzen zu bezeichnen, welche für Sie die Bekanntmachungen, Vorladungen usw. entgegennimmt, da Sie es sich sonst selbst zuzuschreiben haben, wenn Ihnen von den amtlichen Vorgängen im Dorf keine Kenntnis wird …“. Da die Handakte des Schulzen Krause keine weiteren Hinweise auf Differenzen mit den Ziegeleibesitzern enthält, ist davon auszugehen, dass diese nun die geforderten Leistungen erbrachten.

Trotz seiner Gehaltsprobleme musste Schulze Krause vielfältige Probleme lösen, wie seine Handakte vermerkt. Häufig war Streit zu schlichten zwischen Bauern und Büdnern hinsichtlich verlorener alter Rechte, von Neusiedlern und anderen neuen Bewohner war das „Einzugsgeld“ zu fordern, Durchführung von Strafverfahren wegen nicht geleisteter Gemeindedienste, Aufteilung der Kosten bei Schulvisitationen und Fuhren für die Kirche usw..

Schulze Karl Friedrich Krause hat in der Zeit des wirtschaftlichen Umbruchs trotz der geschilderten Probleme seine Gemeinde gut geleitet, er legte nach 20 Jahren 1874 das Schulzenamt nieder, war aber bis 1887 Amtsvorsteher des 1874 gebildeten Amtes Birkenwerder.

Autor: Siegfried Herfert