Birkenwerderaner müssen ihre Wurstkessel abgeben
Bereits zum Jahreswechsel 1915/1916 zeigen sich erhebliche Engpässe bei der materiellen Sicherung der für die Fronten produzierenden Industrie. Besondere Probleme bestehen u.a. bei Nickel, bei Kupfer und seinen Legierungen Messing und Bronze.
Bei Nickel besteht ein immens hoher Bedarf als Legierungselement für die Produkti-on von “Nickelstahlpanzerplatten“. So ist z. B. das 1913 indienstgestellte Großlinien-schiff „SMS Großer Kurfürst“ mit Platten im Verbund mit anderen Materialien bis zu einer Stärke von 35 cm ausgerüstet.
Eduard Maurer, geb. 1886, hatte vor dem Kriege die wissenschaftliche Grundlage für den 1912 entwickelten korrosionsbeständigen Edelstahl V 2 A mit der Zulegierung von 8% Nickel und 18% Chrom geschaffen. Auch das erhöhte den Bedarf an Nickel ganz erheblich.
Prof. Eduard Maurer war nach 1945 der hervorragende Mentor der Eisen- und Stahlindustrie der DDR, vielfach ausgezeichnet, er erhielt zweimal den Nationalpreis. Neben vielen anderen Funktionen war er Leiter des Eisenforschungsinstitutes in Hennigsdorf, das Oberstufenzentrum in Hennigsdorf trägt seinen Namen. Prof. Maurer ist 1969 verstorben.
Kupfer und seine Legierungen Messing und Bronze werden dringend benötigt für die Herstellung optischer, funktechnischer und nautischer Geräte. Bauteile von Granaten und die Leit- und Antriebsaggregate der Torpedos der kaiserlichen Kriegsmarine bestehen fast ausschließlich aus Nichteisenlegierungen.
So kommt es zu drastischen Maßnahmen der Regierung und Amtsvorsteher Kühn veröffentlicht am 25.2.1916 im Briesetal - Boten, Amtsbezirksanzeiger und Zeitung für Birkenwerder und umliegende Gemeinden, die Amtliche Verordnung „Enteignung, Ablieferung, Einziehung von Gegenständen aus Kupfer, Messing und Reinnickel“. Unter die Verordnung fallen Koch- und Waschkessel, Türen an Kachelöfen und Herden, Badewannen, Warmwasserblasen- und Schlangen und Boiler. Für Geschirr und Wirtschaftsgeräte folgt fast eine Seite der Zeitung einnehmende Liste von tatsächlich 244 Gegenständen, von Aspikformen über Hasenbratenpfannen, Pichelsteiner Kasserollen, Steinbuttkessel bis Weinkühler. Als Übernahmepreis werden pro kg für Kupfer 3,90 M, Messing 2,90 M und Nickel 12,90 M gezahlt.
Besondere Erschwernisse bereitet den Birkenwerderanern die Abgabe von Wasch-kesseln und von Kesseln, die bei den noch häufig stattfindenden privaten Schlach-tungen und zur Obstkonservierung im Gebrauch sind. Unverständnis herrscht, wie Öfen und Kochherde ohne Feuerloch- und Aschetüren zu beheizen sind.
Da Enteignung angedroht wird, auch wenn noch kein entsprechender Ersatz vorhanden ist, machen die örtlichen Installateure gute Geschäfte, zumal Sammelbestellungen, wie vom „Grundbesitzer und Bürgerverein“ angeregt, erfolgen. Die Firmen Gustav Sommer sen., Gustav Sommer jun. Und Julius Wenzel aus Hohen Neuendorf bieten Ersatzkessel „nach Maß“, Meister John aus Bergfelde verkauft Kessel aus Gusseisen oder Stahlblech „emailliert in kürzester Lieferzeit“ und H. Maeker aus der Havelstraße in Birkenwerder hat auch emaillierte Wurstkessel aller Größen“ im Angebot.
Wiederholt werden im Briesetal – Boten die Birkenwerderaner gemahnt. Im April wird von Amtsvorsteher Kühn als Verantwortlicher der „Metall – Hauptsammelstelle“ Birkenwerder als letzter Abgabetermin der 30.04.1916 genannt. Wer dieser Aufforderung nicht nachkommt, setzt sich der Zwangsvollstreckung aus und hat mit Geldstrafen bis zu 10000 Mark und Gefängnis bis zu einem Jahr zu rechnen.
Wie die im vergangenen Aufsatz beschriebene zögerliche Befolgung der Abgabe von Goldschmuck und Goldmünzen hat auch die unsinnige Enteignung von „Gegenständen aus Kupfer, Messing und Reinnickel“ nicht den erwünschten Erfolg. Bei völligem Abzug der Einrichtungen und Gerätschaften wären die Haushalte in große Schwierigkeiten gekommen. Die betroffenen Betriebe, Gaststätten und Konditoreien, und öffentliche und private Einrichtungen, wie Heil- und Pflegeanstalten, Kliniken und Strafanstalten hätten ihre schon durch den Krieg erschwerten Aufgaben nicht bewältigen können.
So wird auch der Aufruf zur Durchführung einer Metallsammlung in einer Plakataktion 1918 im Angesicht des bevorstehenden Kriegsendes wirkungslos verlaufen sein.
Anzumerken ist, dass am 30.4./1.5.1916 erstmals in Deutschland die Sommerzeit eingeführt wird. Man verspricht sich für das ganze Reich eine „Lichtersparnis“ von 100 Millionen Mark. Die erste Periode der Sommerzeit endete 1919.
Abb. 1: Werbeplakat für Metallspenden, 71 x 95,5 cm, Deutsches Historisches Museum, Berlin