Die Sitzplatzordnung in der Kirche von Birkenwerder

Das alte vom Großen Kurfürsten 1663 erbaute Kirchlein auf dem Gelände des heutigen Pfarrhauses – auf dem Aquarell von Birkenwerder um 1795 in der Ausgabe unserer Zeitung vom 19./20.02.2011 zu sehen – musste wegen Baufälligkeit durch einen Neubau ersetzt werden. Auch reichten die Sitzplätze für die steigende Anzahl der Bewohner des Ortes nicht mehr aus. In Vorbereitung dieser Maßnahme waren Entscheidungen zum Standort, zur Größe und Architektur der neuen Kirche zu treffen und die Kosten zu kalkulieren.

Nach dem Entwurf des Königl. Bauinspektors und Professor am Königlichen Gewerbeinstitut zu Berlin, J. Manger, orientiert an Plänen von F. A. Stüler, dem Architekten und Baumeister Friedrich Wilhelm IV., erfolgte der Bau, der am 28. 10. 1849 eingeweiht wurde.
Selbstverständlich kamen die in ihrer Farbgebung typischen Ziegel aus heimischer Produktion zur Anwendung. Professor Manger bezeichnete die Steine als „berühm-lichst bekanntes Fabrikat Birkenwerder Ziegeleien“. Angekauft wurden 287250 „gewöhnliche Mauerziegel, Blendziegel und Formziegel“, 5000 Stück Blendziegel kamen aus Hermsdorf.

Die Gesamtkosten des Baus betrugen 14065 Taler, 17 Silbergroschen und 10 Pfennig, bezahlt aus dem Kirchenbaufonds, ohne Zuschuss des Königs. Trotzdem ist anzumerken, dass der König über Stüler bauliche Änderungen, u. a. für die Vorhalle und den Turm, angeordnet hatte.
Zur Zeit des Kirchenbaus stand die Pfarrgemeinde Birkenwerder unter königlichem Patronat. In Dörfern einer Gutsherrschaft oblagen dem Grundherren Pflichten und Rechte des Patronats, d.h. u.a. die Kirchenbaulast, das Recht auf ein besonderes Patronatsgestühl in der Kirche und die Auswahl des Pfarrers und seine Entlohnung.

Das königliche Patronat in Birkenwerder scheint weitgehend hinsichtlich der Finanzierung des Kirchenbaus nicht wirksam gewesen zu sein. Als Stellvertreter des Patronats galt der Rentbeamte in Oranienburg. Die Birkenwerderaner leisteten beim Kirchenbau viele Hand- und Spanndienste, d.h. die Bewältigung des umfangreichen Materialtransportes mittels ihrer Pferdegespanne. Bei finanziellen Zuwendungen verhielten sie sich, wie in solchen Fällen üblich, sehr zurückhaltend.

Ausführlich berichtet Superintendent Kümmel von dem großen Ereignis, der Abschiedsfeier in der alten Kirche, der Prozession zur neuen Kirche, dem Einweihungsgottesdienst mit Umrahmung durch Chöre, durch das Oranienburger Musikkorps und vom Glockengeläut in der bis auf den letzten Platz gefüllten neuen Kirche. Im Anschluss an die Feier nahmen die Ehrengäste an einem Festmahl teil. „Es versteht sich von selbst, dass zuerst unseres allertheuersten Königs als des höchst würdigen Patrons auch der neu erbauten Kirche gedacht wurde. ….Allgemein wurde es bedauert, dass der schönen Kirche die Orgel fehlt“.

Bauinspektor Professor Manger sah die Umstände beim Bau und der Einweihungsfeier nicht so begeistert und kritisiert in einem Schreiben vom 03. 01. 1850 die Eingesessenen. So haben diese den Einbau einer Orgel abgelehnt, obwohl entsprechende Gemeindemittel vorhanden waren. Nicht einmal ein Paar Altarleuchter wurden beigesteuert. Selbst die Zahlung der Wagenmiete von 20 Groschen für den zur Feier angereisten Superintendenten verweigerten sie. Allgemein Beifall fanden die Worte, „wir brauchen keinen Superintendenten zur Einweihung, wir können unsere Kirche selbst einweihen!“ Wahrscheinlich hatte der Bischoff in Kenntnis der Haltung der Birkenwerderaner seine Teilnahme an der Einweihung abgesagt.

Als besonders missliches Ärgernis benennt Manger die gleich nach der Einweihung ausgebrochenen Streitigkeiten um die Kirchsitzplätze. Am 25. 11. 1849, die Einweihung hatte am 28. 10. stattgefunden, verloste die Gemeinde die Sitzplätze und legte eine entsprechende Namensliste an, bevorzugte Sitze der drei Schulzen von Birkenwerder, Hohen Neuendorf und Bergfelde waren vorher gesetzt. Obwohl man sich den Sitzplan vom Königl. Rentamt Oranienburg hatte bestätigen lassen, musste er ständig korrigiert und geändert werden.

Bereits am 04. 09. 1850 wurde eine neue 14 seitige Namensliste der „Besitzer“ der Kirchensitzplätze erstellt. Hier waren auch Sitze für den Patronatsvertreter und den Pastor und seine Familie reserviert, die Empore, heute in der Kirche nicht mehr vorhanden, „war für die Schuljugend, die erwachsenen Bauernsöhne und die Knechte“ vorgesehen. Auch diese Neuverteilung brachte keinen Frieden. Professor Manger bemerkt in seinem Schreiben, dass eigentlich die 306 Sitze ausreichen müssten, wenn nicht die Bauern und Kossäten sich mehr Plätze als ihnen zustehen, angeeignet hätten. Übrigens verhielten sich auch die Schulzen nicht vorbildlich. In den genannten Listen werden sie in einer Anmerkung ermahnt, dass sie die Plätze nur so lange innehaben, als sie das Schulzenamt verwalten und bei Amtswechsel mit dem neuen Schulzen tauschen müssen.

Die rasante Entwicklung der Birkenwerderschen Ziegeleiindustrie wirkte sich förderlich auf das gesamte Wirtschaftsleben , auf Handel und Gewerbe positiv aus. Die Schifffahrt erlebte einen imposanten Aufschwung durch die Notwendigkeit der Anlandung riesiger Mengen an Steinkohle und Torf als Brennmaterial für die Ziegeleien und die Verschiffung der produzierten Ziegel.

In der Blütezeit der Ziegeleiproduktion hatten etwa 30 Schiffseignerfamilien ihren Wohnsitz in Birkenwerder.

Birkenwerder entwickelte sich aus einem Bauern- und Kossätendorf zu einer industriell geprägten Gemeinde, die Einwohnerzahl verdoppelte sich von 1856 mit 614 bis 1895 auf 1286 Einwohner. Immer häufiger kam es daher vor, dass die „Altpächter“ vor „ihrem“ schon besetzten Kirchensitzplatz standen.

Den Ziegeleiarbeitern und Zugezogenen schien die althergebrachte Sitzplatzordnung sowieso als abstrus. Mit der Zeit wurden aber auch die alten Birkenwerderaner immer weltoffener. Sie sahen die neuen Bewohner nicht mehr als unerwünschte Eindringlinge an, fühlten sich auch nicht mehr verpflichtet, an jeden Sonntagsgottesdienst teilzunehmen.

Ende des 19. Jahrhunderts hatten sich die Kirchensitzplatzprivilegien überholt. Die Königl. Regierung in Potsdam verfügte 1896 die „Freigabe“ nach Zusicherung des Gemeindekirchenrates, dass die Kirchenstühle für das Patronat und für den Pfarrer nebst dessen Familie nach wie vor reserviert blieben.

Autor: Siegfried Herfert